Sturmwelten 02. Unter schwarzen Segeln
der Hand. »Sehen Sie mal nach, ob hier drin irgendetwas Nützliches lagert.«
Der Soldat nickte benommen, aber Thyrane lief schon zur Tür und presste sich gegen den Rahmen. Er konnte quer über den Hof sehen, wo der zweite Soldat hinter dem Karren kniete. Er hob gerade seine Muskete.
Der Schuss knallte, und für einen Moment war der Mann hinter dem Pulverdampf verborgen, dann stürmte er vor. Thyrane ging in die Hocke und legte das Gewehr an die Schulter. Schon lange hatte er nicht mehr im Gefecht geschossen, sondern nur noch bei der Jagd, doch er hatte die Handgriffe nicht verlernt. Er war nicht mehr so schnell wie früher, aber als er den Lauf um die Kante schwenkte und sein Ziel auf der Mauer suchte, war jede einzelne Bewegung vertraut. Er achtete nicht auf den rennenden Soldaten, auch nicht auf die Rufe hinter ihm, sondern nur auf den Mann der Compagnie, der auf den Mann des Admirals zielte. Sein Herzschlag wurde
langsam, sein Atem ging gleichmäßig. Über den Lauf der Waffe hinweg hielt er seinen Blick auf den Feind gerichtet, dessen Muskete dem rennenden Soldaten folgte. Er konnte die Anspannung des Mannes fast spüren, ahnte den Moment, in dem er abdrücken würde.
Thyrane schoss schneller. Der Kolben seiner Muskete sprang ihm gegen die Schulter, und der Rauch nahm ihm die Sicht. Er zog sich in den Schutz des Lagerschuppens zurück, und wenige Augenblicke später rannte der Soldat durch den Qualm, sprang die letzten Fuß und rollte sich auf dem schmutzigen Boden ab. Der Admiral drückte die Muskete dem nächststehenden Seemann in die Hand. »Nachladen!«
Der Soldat robbte zurück zur Tür und riskierte einen schnellen Blick. »Sie haben ihn erwischt, Thay. Ein exzellenter Schuss, wenn ich das so sagen darf.«
»Sie dürfen«, entgegnete der Admiral ruhig. Er hatte nicht an dem Treffer gezweifelt, obwohl er ihn nicht gesehen hatte. »Laden Sie Ihre Waffe nach, und halten Sie Ausschau. Die Compagnie wird bald Leute ausrücken lassen, und schon wird es hier drinnen verdammt ungemütlich werden.«
Tatsächlich waren draußen bereits Befehle zu hören, und dann rief Bailiff Malster mit ihrer unverkennbaren Stimme: »Admiral Thyrane, lassen Sie uns diesen Wahnsinn beenden und das Ganze wie zivilisierte Menschen lösen.«
Um sich herum spürte Thyrane die Anspannung der Seeleute und Soldaten, die ebenso auf seine Antwort warteten wie Malster. Sie alle wussten, dass ihre Situation katastrophal war und sich mit jedem Augenblick noch verschlechterte. Aber dann musste Thyrane an Aegrin denken, der genau neben ihm gestanden hatte, als der tödliche Schuss gefallen war. Die Bastarde hatten es auf mich abgesehen. Sie haben den ersten Schuss abgefeuert, auf einen Admiral Ihrer Königlichen Majestät !
»Sagen Sie Ihren Leuten, dass sie die Waffen niederlegen und sich ergeben sollen«, antwortete er mit fester Stimme. Wenn ihn sein Zeitsinn nicht täuschte, musste der Überfall auf das Linienschiff in der Bucht bereits in vollem Gang sein. Sie mussten den Männern und Frauen der Imperial auf jeden Fall genug Zeit erkaufen. Und wir müssen verhindern, dass sie entdeckt werden, wenn sie zum Fort hochsteigen, sonst knallt man sie ab wie Kaninchen auf freiem Feld .
»Machen Sie sich nicht lächerlich, Admiral! Sie sitzen in der Falle und sind keineswegs in der Lage, irgendwelche Forderungen zu stellen.«
»Ich bin Admiral der Königlichen Flotte von Thaynric, Laerd des Reiches. Allein mir steht es zu, in dieser Sache überhaupt Forderungen zu stellen, Thay. Wenn Sie also nicht vorhaben, den Befehlen der Königin unvermittelt nachzukommen, sollten Sie lieber schweigen.«
Tatsächlich folgte sie seiner Aufforderung, aber wohl nicht, weil sie seinen Standpunkt teilte, sondern um den Sturm auf das Lagerhaus vorzubereiten. Insgeheim hoffte Thyrane, dass er wenigstens Zweifel unter den Soldaten der Compagnie gesät hatte. Im Gefecht mochte ein Moment des Zögerns das Leben seiner Leute retten.
»Thay, wie lauten Ihre Befehle?«, fragte eine Stimme aus dem Dunkel hinter ihm.
»Wir halten die Stellung. Unsere taktischen Möglichkeiten sind derzeit etwas eingeschränkt, möchte ich sagen.«
Obwohl seine Worte durchaus ernst gemeint waren, sah er hier und da ein Lächeln auf den Gesichtern. Er ahnte, warum; innerhalb der Flotte hatten seine Abenteuer inzwischen einen legendären Ruf, und man traute ihm wahre Wundertaten zu. An all die Toten, die er hatte zurücklassen müssen, all die kleinen Niederlagen, die
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