Sturmwelten 02. Unter schwarzen Segeln
jegliche Ablenkung ebenso. Das leise Atmen neben ihm war das einzige Geräusch, das zu ihm durchdrang, aber selbst der feste Leib Aiteas, deren warme Haut an seiner lag, konnte ihn nicht aus seinem Philosophieren reißen. Noch immer hatte er keine zufriedenstellende Antwort auf die Frage gefunden, ob die Publikation von Theaterstücken in Form von Büchern dem Geist der Werke diametral gegenüberstand und sich somit verbot, oder ob das hehre Ziel der weiteren Verbreitung seiner Worte diese kleine Konzession erlaubte.
Seufzend legte er die Hand auf Aiteas Gesäß. Er genoss das Gefühl, auch wenn seine Lust in dieser Nacht bereits gestillt worden war. Er hatte nicht vor, die kostbare Zeit in den toten Stunden auf dem Altar des Leibes zu opfern. Sie wird ohnehin bald wach werden, um ihr Tagwerk zu beginnen , besann er sich. Und ihr Tagwerk beginnt mit mir .
Seine derzeitige Behausung wurde seinen Talenten natürlich nicht gerecht, aber er hatte sich mit der Situation so gut
es eben ging abgefunden. Ein abgelegener Gasthof in einem Dorf, das den Namen kaum verdiente, da es wenig mehr als der Zusammenschluss von einem halben Dutzend Bauernhöfen war, die in dieser Region hochmütig als Landgüter bezeichnet wurden. Eine staubige Straße, etwas abseits der großen Pässe, auf der dann und wann Händler reisten, verband die Gehöfte. Der größte Teil des Verkehrs wurde aber von Wanderarbeitern bestritten, armem Volk, das von Arbeit zu Arbeit zog, wie ein ewig hungriges Heer in einem nicht enden wollenden Krieg. Nur zu Erntezeiten war der Bedarf an diesen Nomaden groß; ansonsten schlugen sie sich mehr schlecht als recht durchs Leben, zogen mit ihren Sicheln auf dem Rücken durch die Lande, verdingten sich für ein Essen hier und dort und zeugten Bälger. Manchmal stellte Franigo sie sich wie ein vielarmiges, gefräßiges Wesen vor, eine Bestie von altertümlicher Wucht, die wie eine Plage über Landstriche herfiel, bis Helden aus den alten Sagen ihr entgegentraten.
Selbstverständlich war dies eine vorurteilsbeladene, vielleicht sogar arrogante Sicht, wie ihm Aitea oft genug gesagt hatte, aber Franigo war kein Mann, der seine Vorurteile einfach aufgab. Dafür habe ich sie zu lange gepflegt , dachte er müßig. Also stritt er sich in dieser Angelegenheit gern mit seiner Wohltäterin, die den Großteil ihres Lebensunterhaltes dadurch bestritt, dass die Wanderarbeiter Geld in ihrem Gasthof ließen, wie bescheiden dieses Scherflein auch immer sein mochte. Dazu hatte Aitea ein kleines Feld, das sie mit großem Geschick bestellte, und sie hielt etwas Vieh, vor allem Hühner und Ziegen. Sie führte ein einfaches und raues Leben, und wenn ihre Finger über Franigos Haut glitten, dann konnte er die Schwielen spüren. In vielerlei Hinsicht war sie so anders als die Frauen bei Hofe, dass Franigo sogar ein Vergleich schwerfiel. Aber manchmal erinnerte ihn ihre Stimme an Yuone
– die Art, wie manche dunkle Laute in ihrer Kehle klangen, und das ungehemmte Lachen.
Trotz ihrer Auseinandersetzungen hatte der Poet begonnen, ein neues Stück über die Schnitter zu schreiben. Auf der Wanderung, wie er seine Flucht inzwischen nannte, hatte er nur Lieder und Spottverse gedichtet, doch sein Herz verlangte nach mehr. Einem großen Stoff, einer Geschichte von Liebe und Verrat, von gnadenlosen Mächtigen und stolzen Armen, von schönen Frauen, Duellen und Kriegen. In den letzten Wochen hatte seine Vorstellungskraft zu brodeln begonnen, angeregt durch seinen Kontakt zu Aiteas Gästen. Die Personen des Stücks waren langsam in seinem Geist erschienen, blass und farblos zunächst, wenig mehr als Schemen, doch hatten sie jeden Tag an Substanz gewonnen. Er wusste bereits, wovon sein Stück handeln sollte – und er wusste auch, dass niemand es jemals spielen würde. Sein Stern war nicht nur gesunken, er war vollständig ausgelöscht worden. Die Glücksbringerinnen hatten ihn verlassen, sein Name war weniger wert als je zuvor. Nein, mein Name ist sogar gefährlich. Wer ihn kennt, kann mich verraten. Wer meine Stücke spielt, riskiert den Zorn der Géronaee. De facto ist mein Name eine Waffe, die gegen mich verwendet werden kann . Die Erkenntnis, als sie ihn einmal getroffen hatte, war hart, aber sie trieb Franigo auch den Zorn in sein Herz.
»Bist du schon wach?«, murmelte Aitea verschlafen und riss den Poeten damit aus seinen Grübeleien, nur um sich dann zu beschweren: »Es ist noch zu früh.«
»Verzeih, ich wollte dich nicht
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