Sturmwelten 02. Unter schwarzen Segeln
weitere Fähigkeiten vor ihm, um ihn nicht noch mehr zu verwirren.
»Sinosh?«
Hier bin ich .
»Endlich. Wo warst du?«
Jagen. Ratten .
Der angeekelte Tonfall amüsierte Jaquento, doch er schwieg tunlichst darüber. Mit angehaltenem Atem lauschte er in das Zwielicht des beginnenden Tages. Er bildete sich ein, das Kratzen kleiner Klauen auf Holz zu hören, aber unter den beständigen Geräuschen, die ein großes Schiff unter Segeln produzierte, konnte er kaum sicher sein.
»Wo bist du jetzt?«
Unter dir. Ganz unten, wo es nass ist. Ich kann nur manchmal nach oben, in der Dunkelheit, wenn niemand im Laderaum ist. Dort gibt es ja gutes Essen in großen Fässern und Kisten. Als ob es jemand stören würde, wenn ich davon abhabe .
»Ja, schon gut. Ich kann dir leider nicht helfen, weil ich ein Gefangener bin, falls du das schon vergessen haben solltest«, unterbrach ihn der junge Hiscadi. Die Selbstbezogenheit der kleinen Kreatur verärgerte ihn mindestens ebenso sehr, wie ihn ihr Appetit überraschte.
Das ist alles deine Schuld , stellte die kleine Echse grummelnd fest. Beinahe wäre Jaquento vor Wut explodiert, doch dann besann er sich.
»Meine Schuld?«
Ja, deine. Hättest du mich nicht dauernd gefüttert, als ich noch unerwacht war, dann würden mir jetzt Ratten munden. Aber nun mag ich sie nicht, und der Sinn steht mir eher nach Milch und Sahne. Als wäre ich eine Katze !
»Das tut mir sehr leid«, erklärte Jaquento sarkastisch. »Ich werde bestimmt daran denken, wenn sie mir in Thaynric die Henkersmahlzeit vorsetzen. Und wenn ich am Galgen baumle, werde ich um dein Leid weinen. Ich hoffe, es gibt Sahne auf meinem letzten Tablett.«
Noch hängst du nicht , erinnerte ihn Sinosh.
»Nein, noch nicht«, bestätigte der Hiscadi grimmig. Dann fiel ihm etwas ein: »Was meinst du mit unerwacht ? Jetzt bist du erwacht?«
Ja. Aber ich bin zu jung. Das sollte noch nicht geschehen. Erst wenn ich größer werde, sollte mein Verstand erwachen. Aber der Nexus hat alles verändert. Und vielleicht auch das schwarze Schiff. Das ist nicht gut, verstehst du? Du musst mir vertrauen, Jaquento. Deine Beute darf nicht in die falschen Hände gelangen .
»Du bist wirklich ein Drache?«
Das Ja in seinem Geist war weniger ein Wort als vielmehr ein Gefühl der Bekräftigung.
»Und ich dachte, die Geschichten von Drachen wären nur Seemannsgarn. Legenden eben, Überbleibsel aus alten Zeiten, als die Menschen noch abergläubisch waren.«
Waren? Pfft .
Missbilligung schwang in dem Geräusch mit. Jaquento konnte nicht sagen, dass es ihm gefiel, die gesamte Menschheit, zu der er sich nun einmal auch zählte, derart verunglimpft zu sehen, noch dazu von einem kleinen, schuppigen, lügnerischen Reptil. Noch gelang es ihm nicht, von Sinosh als von einem Drachen zu denken.
»Wie auch immer«, knurrte er also übellaunig. »Es gibt Drachen?«
Nicht so, wie du denkst. All dies ist nicht so einfach. Die meisten von uns sind nicht erwacht. Sie sind so, wie ich es war. Das würdest du nicht Drache nennen, oder ?
»Nein.«
Genau. Wenn wir wachsen, erwacht unser Geist irgendwann. Aber bei mir ist das viel zu früh geschehen. Ich bin zu klein!
»Aber wo sind diese Drachen denn? Deine großen Brüder und Schwestern. Niemand sieht sie, sie fliegen nicht durch die Lüfte, rauben keine Jungfrauen …«
Also bitte !
Verärgerung blitzte in den Worten auf, genau die Reaktion, die der junge Hiscadi hatte provozieren wollen. Er schnalzte leise mit der Zunge.
»Nun?«
Manchmal seht ihr uns schon. Wie die vielen Legenden beweisen. Aber wir leben fern von euch Corbanern. Und wir achten darauf, dass es so bleibt. Und dann …
Einige Augenblicke wartete Jaquento darauf, dass Sinosh mit seiner Erklärung fortfuhr, dann fragte er gereizt: »Was dann?«
Das kann ich nur schwer erklären, und es ist nicht wichtig für dich. Du musst deine Kräfte dafür aufwenden, die Ladung des Schiffes zu finden und in deinen Besitz zu bringen .
»Dein Gedächtnis ist nicht das beste, was? Ich kann hier nicht weg. Meist kann ich nicht mal die Brig verlassen. Und selbst wenn ich es könnte, warum sollte ich das tun?«
Weil die Ladung gefährlich ist. Ich habe es nur kurz gespürt, aber es ist machtvoll. Ich fürchte, was man damit anrichten könnte, wenn es in die falschen Klauen … ich meine … Hände gerät. Es ist mehr, als du ahnst, fürchte ich .
»Das ist alles sehr mysteriös. Die richtigen Klauen wären wohl deine, hm?«, erkundigte sich Jaquento
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