Sturmwelten 02. Unter schwarzen Segeln
auf den Knecht zu achten, der hastig seine rauchende Waffe nachlud, stürmte Franigo vor und drang auf den Adligen ein. Hinter ihm brüllten die Schnitter wie ein Mann – oder vielmehr wie ein blutrünstiges Tier.
Franigos Angriffe waren hart und schnell, und obwohl sein Gegner sichtlich Ausbildung mit seiner schlanken Klinge genossen hatte, konnte er dem Poeten nichts entgegensetzen. Ein Stich traf seine Waffenhand und sandte den Degen in den Schmutz, dann glitt die Spitze von Franigos Waffe zur Kehle des Mannes. Sie standen sich gegenüber, ihre Blicke ineinander verschränkt, doch trotz der tödlichen Gefahr sah Franigo nichts als Hass in den Augen des Adligen.
Dann brandeten die Wanderarbeiter um sie beide herum wie eine Woge aus Leibern. Ein Hieb traf den Gutsherrn am Kopf, so dass er mit verdrehten Augen zusammensackte. Die Schnitter hoben ihre Arbeitsgeräte in die Luft und brüllten: »Franigo! Franigo!«
Der Poet ließ sich von der Magie des Augenblicks mitreißen, spürte die grenzenlose Energie, die in diesen Rufen lag, die Macht, die sie ihm verliehen.
Selbst als die ersten Wanderarbeiter plündernd in das Gutshaus eindrangen, man Poltern und Krachen hörte und schließlich den spitzen Schrei einer Frau, brauchte Franigo noch einige Zeit, um sich von diesen Gefühlen zu lösen.
Die Schnitter nahmen sich vom Hof, was sie wollten, und obwohl es Franigo gelang, die Familie des Herrn und seine Bediensteten mit feurigen Worten vor ihrem Zorn zu beschützen, blieb ein schaler Geschmack in seinem Mund zurück. Er hatte das Gefühl, als läge mit Serge noch mehr tot im Hof, etwas kaum Greifbares, das an diesem sonnigen Herbsttag ebenso verendet war wie der Schnitter.
THYRANE
Schon oft war der Admiral in seinem Leben vor Mauern gelaufen. Manchmal hatte er sie durchbrechen können, manchmal umgehen, und häufiger, als ihm lieb war, hatte er kapituliert. Ein weiser Mann weiß, wann er die Welt nicht ändern kann , hieß es in Thaynric, andererseits sagte man den Männern und Frauen von Graemney eher Sturheit als Weisheit nach.
»Mir scheint, diese Befragungen sind fruchtlos«, erklärte Thyrane bestimmt und erhob sich. Neben ihm lächelte Holt, der entgegen den Wünschen des Admirals anwesend war, in sich hinein, als habe er den Ausgang dieses Unternehmens genau so prophezeit. Was fast der Wahrheit entsprach.
»Diese Leute sind verstockt, Thay«, erklärte Holt mit einem beinahe väterlichen Ton in der Stimme. »Das sind einfache Menschen, Naturkinder, die nichts von diesen Dingen verstehen.«
Müde rieb sich Thyrane die Schläfen. Nach einer zu kurzen Nacht waren seine Kopfschmerzen als dumpfes Dröhnen hinter seinen Augen zurückgekehrt; Vorboten eher schlimmerer Pein.
»Sie hatten keinen Kontakt zu diesem Handelsschiff, um dessen Herkunft sich alles dreht. Aber ihre Aussagen zum Verhalten der Compagnie sind eindeutig, und es ist eine
Schande. Eine Schande für unsere Nation, unser Volk und für die Königliche Marine!«
»Das bleibt abzuwarten«, entgegnete Holt süffisant. »Ein Gericht wird das klären. Nicht jeder misst den Worten dieser primitiven Kreaturen so viel Bedeutung bei wie Sie, nicht wahr?«
Natürlich hatte er recht; Thyrane konnte sich gut vorstellen, wie viel Gewicht die Aussagen dieser Eingeborenen vor einem aus Thayns bestehenden Gericht haben würden. Allein der Begriff Eingeborene sorgte dafür, dass viele Corbaner sie eher wie unmündige Kinder betrachteten, wenn nicht gleich als Menschen zweiter Klasse. Auf der einen Seite stünden also bestenfalls belächelte Menschen, die nicht einmal die Sprache des Gerichts beherrschten, auf der anderen die eloquenten Vertreter der Compagnie mit ihren exzellenten Kontakten und ihrem großen Einfluss in allen wichtigen Bereichen der Gesellschaft.
Während seiner Zeit als Abgeordneter im Parlament hatte Thyrane oft genug Niederlagen im Kampf gegen die sich immer weiter ausbreitenden Machtbefugnisse der Compagnie und anderer Institutionen und Handelsgesellschaften hinnehmen müssen. Denn es herrschte Krieg, seit vielen Jahren, und die Staatskassen waren nicht nur leer, sondern überschuldet, und die Thaynrisch-Koloniale Handelscompagnie spülte jedes Jahr wieder mehr Geld in die Kassen. Geld, mit dem Schiffe gebaut und gewartet, Mannschaften ausgebildet und bezahlt und Kanonen gegossen werden konnten. Am Ende ist es das Geld, das Sugérand und seine verfluchten Lakaien in Schach hält , überlegte der Admiral.
»Besorgen Sie mir noch einen
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