Sturmwelten 02. Unter schwarzen Segeln
backbord, und holt mir die Segel dicht!«
Langsam stabilisierte sich das Schiff, und Tareisa erhob sich vorsichtig. Sie hatte nicht gewagt, mehr als ein Minimum an Vigoris einzusetzen, da die Totwey einfach zu nah war. Einem direkten Schuss hätte ihr Schild niemals standgehalten,
aber vor den Splittern, die im Kreis um sie herum lagen, hatte er sie geschützt.
Andere waren nicht so vom Glück begünstigt gewesen, wie die vielfachen Schmerzenschreie an Deck bewiesen.
»Das war die Mantikor! Bei der Tiefe, verfolgt mich dieses Schiff etwa?«, knurrte Deguay, der sich zu ihr gesellte und seinen Blick über ihren Leib wandern ließ. »Seid Ihr unversehrt, werte Dame?«
»Die Mantikor ? Das Schiff, dem wir vor Hequia entkommen sind? Seid Ihr sicher, Capitane?«, erwiderte die Maestra, ohne auf seine Frage einzugehen. Mit einer Hand strich sie sich über das Haar und schob einige Strähnen hinter die Ohren. Sie durfte Deguay gegenüber keine Schwäche zeigen, selbst wenn sie in ihren Eingeweiden gerade ein äußerst flaues Gefühl von Angst und Sorge verspürte.
»Ja, bin ich. Man könnte denken, sie hätten genau gewusst, wo sie uns erwarten können.«
»Vielleicht haben sie das«, grübelte Tareisa und warf einen Blick auf das thaynrische Kriegsschiff, das hinter ihnen mit der See kämpfte.
»Die haben gekämpft wie Löwen. Ein wunderbarer Schutz waren die beiden Pötte da.«
»Oder wie Mantikoren«, erwiderte die Maestra geistesabwesend. Der Verdacht, dass die thaynrische Marine ihnen derart nah auf den Fersen war, beunruhigte sie. Auch wenn sie nicht erklären konnte, warum die Thayns augenblicklich nur ein Schiff geschickt hatten, musste sie die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass noch mehr kommen würden, und für die Zukunft vorsorgen.
Ein Schrei ertönte, und zahlreiche Piraten blickten nach achtern, aber nicht zu der Mantikor , sondern zu einer der géronaischen Fregatten, deren Mastspitzen sich immer weiter zum Meer neigten. Tareisa konnte nicht erkennen, um
welche es sich handelte, aber selbst sie sah, dass dieses Schiff soeben seinen letzten Kampf verlor.
»Jetzt ist es zu spät«, erklärte Deguay ohne sichtbares Mitgefühl mit dem Schiff und seiner Besatzung. »Nun dringt selbst durch geschlossene Geschützluken die See ein, und sie läuft voll. Es wird schnell gehen.«
Fasziniert und entsetzt betrachtete Tareisa das grausame Schauspiel. Der Capitane behielt recht: Hatte das Schiff sich zunächst langsam geneigt, beschleunigten die Masten ihre Bewegung nun, bis sie mit einem gewaltigen Schlag in die raue See eintauchten. Kleine Gestalten sprangen von dem Wrack, ein Boot lag noch in der Nähe und wurde von den Wellen durchgeschaukelt. Innerhalb von wenigen Herzschlägen versank der Rumpf der Fregatte in der tobenden See und ließ nur eine Fülle von Trümmern zurück. Wie viele Seeleute und Soldaten mag sie mit in die Tiefe gerissen haben? Dutzende? Hunderte ?
»So schnell kann es gehen, werte Dame. Die See ist eine harsche Herrin.«
»Käpt’n!«, rief die blonde Navigatorin der Todsünde , die am Steuer stand, und wies voraus. »Die Totwey !«
Sofort rannte Deguay zur Reling, und Tareisa folgte ihm.
»Wir sind vom Pech verfolgt«, klagte er und schlug wütend mit der Faust auf das Holz. Die Totwey hatte ebenfalls Schlagseite, aber vor allem wandte sie der Küste das Heck zu, als wolle sie direkt gegen den Wind anfahren.
»Was geschieht mit ihr?«
»Sie ist manövrierunfähig. Rahel würde sie niemals so stellen, dass sie in Richtung der Leeküste gedrückt wird. Die verfluchten Thayns haben ihr das Segelwerk zerschossen.«
Entgeistert blickte Tareisa wieder zu der Schwarzbrunn-Fregatte. Die Masten hoben und senkten sich im Takt der Wellen, die wütend gegen das Schiff brandeten und hoch
aufspritzten. Das darf nicht geschehen ! Sie darf nicht ebenfalls sinken .
Doch ihre Wünsche bedeuteten angesichts der Naturgewalt wenig, und ihre magischen Fähigkeiten waren in der Nähe des Schiffes ohne Nutzen. Beinahe hätte Tareisa über die Ironie geflucht. Sie war eine mächtige Maestra, vielleicht die mächtigste noch lebende, und doch wurde ihr ihre Macht ausgerechnet von dem genommen, was sie begehrte. Bange Momente lang betrachtete sie das Schiff, dessen missliche Lage offensichtlich war.
»Was tun?«
Deguay zuckte mit den Achseln. Sein Gesicht wirkte verkniffen, als er zu der Mantikor zurückblickte und konstatierte: »Immerhin sind die dort drüben keine Gefahr mehr.«
Doch Tareisa
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