Sturmwelten 02. Unter schwarzen Segeln
müssen uns beeilen, Jaq, sonst geht es uns wie denen da.«
Der Maureske deutete auf die verbliebene géronaische Fregatte, die versuchte, unter den letzten Segeln der drohenden Gefahr zu entgehen. Aber Jaquento konnte sehen, dass ihre Bemühungen nicht reichen würden. Das Schiff war zu stark beschädigt, und obwohl es versuchte, parallel zur Küste nach Norden zu entkommen, war die Abdrift zu stark. Unter guten Bedingungen wäre es schwer gewesen, so nah am Land dem gefährlichen Wind zu entgehen, jetzt schien es dem jungen Hiscadi unmöglich.
Als wollte die See seinen Gedanken recht geben, schlug die Unerschrocken unvermittelt gegen ein Hindernis unterhalb der Wasserlinie, bäumte sich regelrecht auf, erzitterte bis in die Mastspitzen und legte sich dann unter dem Angriff des Windes immer weiter zu Seite.
Trümmer trieben davon, die Flagge am Heck wurde ins Wasser gedrückt und verschwand, ein Mast brach mit einem lauten Krachen und fiel zur Seite weg. Der Rumpf ragte aus dem Wasser, man konnte die Algen und Seepocken erkennen, die sich daran festgesetzt hatten. Jaquento erwartete, jeden Augenblick zu sehen, wie das Schiff von den Wellen zerschlagen wurde, unter dem Ansturm der See einfach zerbrach, doch noch hielt es stand.
»Arme Bastarde«, murmelte er mit echter Anteilnahme, dann riss er sich von dem grauenvollen Anblick los. Ihre eigene Situation war nicht viel besser, und der Maureske und er mussten handeln.
Bihrâd war bereits damit beschäftigt, auf dem Hauptdeck nach Material zu suchen, welches sie für den Sprung ins
Wasser nutzen konnten. Der Maureske wurde inmitten der thaynrischen Seeleute nicht mehr beachtet; es war, als wäre er unsichtbar.
Am Aufgang zum Achterdeck hatte Cudden seine Marinesoldaten postiert, die ihre Waffen zwar noch nicht angelegt hatten, aber deren Anblick unmissverständlich deutlich machte, dass sie jederzeit eingreifen konnten. Trotzdem sah Jaquento immer wieder Seeleute, die sich hinter den Trümmern davonschlichen und ihr Glück auf eigene Faust in der See suchten. Der junge Hiscadi konnte es ihnen nicht verdenken. Selbst wenn die Boote genug Platz geboten hätten, war eine Landung an der unwirtlichen Küste unter diesen Bedingungen absoluter Wahnwitz. Er selbst würde sein Leben auch eher einem Fass und seiner eigenen Kraft anvertrauen, als sich mit einem vollbesetzten, schwerfälligen Boot von den Wellen an den Klippen zerschlagen zu lassen.
Dennoch blieben viele Matrosen diszipliniert, woran der Anblick der Soldaten sicherlich keinen geringen Anteil hatte. Sie zogen die Boote heran, die im Gefecht hinter der Mantikor hergezogen worden waren, während andere Besatzungsmitglieder die Verletzten aus dem Lazarett an Deck schafften.
Erst als das erste Boot längsseits lag, brach die Ordnung zusammen. Männer und Frauen drängten sich an der Bordkante, es wurde geschrien und geflucht und einige sprangen einfach hinab in die scheinbare Sicherheit des langen Ruderbootes.
Ein Schuss ertönte, und Cudden trat mit rauchender Waffe vor. Seine Soldaten hatten die Musketen angelegt, und die Mündungen waren auf die Seeleute gerichtet. Fasziniert betrachtete Jaquento das Schauspiel, das sich vor ihm entfaltete. Die Soldaten bedrohten auf einem dem Untergang geweihten Schiff die Mannschaft, die versuchte, sich selbst zu retten. Thayns !
»Zurück! Zurück sage ich!«, brüllte Cudden und wies mit der Muskete in Richtung Hauptmast. »Der nächste Schuss sitzt!«
Der Leutnant baute sich bedrohlich vor der versammelten Menge auf, während die Mantikor Stück für Stück der Katastrophe weiter in die Arme getrieben wurde. Stille breitete sich unter den Menschen aus, und Jaquento konnte die Spannung spüren. Gleich würden die Matrosen sich den Soldaten entgegenstellen, und dann würde Blut fließen. Einige griffen bereits nach Trümmerstücken, nach Belegnägeln, andere hatten von ihrer Arbeit noch Beile in den Fäusten. In ihrer Verzweiflung würden sie sich nicht von Worten aufhalten lassen.
»Hört her«, rief Roxane mit einem Mal. Jaquento konnte spüren, wie Sinosh sich auf seiner Schulter ihr zuwandte.
»Das Schiff ist verloren, auch wenn die Mantikor sich ein letztes Mal tapfer geschlagen hat. Dort ist unser Feind«, rief die Kapitänin und wies auf die dunkle Küste unter den grauen Wolken. »Nicht hier. Wir können diesen Feind besiegen, wir können überleben – wenn wir zusammenarbeiten.
Lasst eure Kameraden nicht im Stich, die sich nicht selbst retten können!
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