Sturmwelten 02. Unter schwarzen Segeln
gewechselt haben? Die nahe Fahrt an der hiscadischen Küste? Der Freigang mitten in der Nacht? Mann, sind Sie so schwer von Begriff?«
»Sie wollte … sie wollte , dass wir entkommen?«
Sein ganzer Leib zitterte, als ihn diese Erkenntnis traf. Hinter sich hörte er Bihrâd rufen, aber er reagierte nicht.
»Ja«, antwortete Cudden schlicht, dann lief der Leutnant quer über das Deck, ergriff ein Tau und schwang sich mit einem gewaltigen Satz in das wartende Boot. Jaquentos Blick wanderte wieder zu Roxane, dann hinab zu Bihrâd, der sich am Floß festhielt und mit einem Arm winkte. Nun waren nur noch der junge Hiscadi, die tödlich Verwundeten und Roxane an Bord.
»Rette dich!«, brüllte Jaquento Bihrâd zu, ehe er sich von der Bordkante abwandte.
»Jaq! Jaq!«
Er achtete nicht auf die Rufe seines Freundes, sondern sprintete über das Deck und sprang die Treppe empor. Das Schiff bäumte sich unter ihm auf wie ein Lebewesen, als wolle es ihn daran hindern, sein Ziel zu erreichen.
Was tust du ?, erklang Sinoshs aufgeregte Stimme in seinem Geist.
»Das Richtige«, murmelte Jaquento, als er auf Roxane zustürzte, sie an den Aufschlägen ihres Uniformrocks packte und zur Reling zerrte. Sie wehrte sich, schrie ihn an und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht, doch er ließ sich einfach fallen und riss sie mit sich in die tobende See.
ROXANE
Das kalte Wasser schlug über ihr zusammen, nahm ihr mit einem Schlag die Sicht, den Atem – aber nicht den Zorn. Prustend tauchte sie auf. Ihr Zweispitz war schon beim Sturz verloren gegangen, und sie warf die Haare nach hinten, die ihr wie nasse Algen in die Augen hingen. Wellen rollten über sie hinweg, die Uniform sog sich voll Wasser, und sie strampelte mit den Beinen, um sich über Wasser zu halten. Doch ihr Gedanke galt nur einer Sache.
»Sind Sie verrückt geworden? Sie verfluchter hiscadischer Hund!«
Neben Roxane hielt sich Jaquento mühsam oben, und er hatte bereits damit begonnen, sich seiner Kleidung zu entledigen, um sich das Schwimmen zu erleichtern. Zum ersten Mal seit langer Zeit sah sie ihn wieder so grinsen wie damals auf Lessan, als sie sich gerade kennengelernt hatten.
»Ihr hättet Euer Leben umsonst fortgeworfen, Meséra«, brüllte er zur Antwort, um Wind und See zu übertönen. Mit einem Ruck riss er sein Hemd auf und streifte es ab. »Euer Auftrag ist noch nicht beendet!«
Hinter ihm blitzten goldene Schuppen auf, und kurz dachte Roxane, dass es ein Fisch wäre, doch da sprang die kleine Echse elegant aus dem Wasser, fand Halt auf der Schulter des jungen Hiscadi, sah sich kurz um und kletterte auf seinen Kopf.
»Ich habe mein Schiff verloren, du verdammter Idiot«, schrie Roxane und begann, zur Mantikor zurückzuschwimmen, von der sie bereits einige Fuß abgetrieben worden waren. »Hörst du die Schreie? Meine Leute sterben unter meinem Kommando, und das Einzige, was ich noch geben kann, ist mein eigenes Leben!«
Weit kam sie nicht, denn er holte sie ein und packte sie am Kragen. Sie fühlte sich herumgerissen, dann legte er ihr eine Hand auf die Wange, warm trotz des kühlen Wassers. Seine dunklen Augen suchten ihren Blick und brachten sie zum Schweigen.
»Hör auf damit«, sagte er sanft. Sie konnte die Worte von seinen Lippen ablesen. »Jetzt aufzugeben und zu sterben hilft niemandem.« Nun brüllte er wieder, damit sie ihn verstehen konnte. »Es ehrt auch nicht die Toten, sondern spottet ihrer. Nur wenn du überlebst, kannst du ihrem Tod den Sinn geben, den sie verdienen.«
Sie wollte schreien, wollte weinen, wollte um sich schlagen, die Welt verfluchen, alles zerstören, alles in den Abgrund reißen, doch sie konnte nichts tun. Sie zitterte, und das lag nicht allein an dem kalten Meer.
Eine Welle begrub sie unter sich, und sie paddelte hektisch in Richtung Oberfläche zurück. Salziges Wasser drang ihr in den Mund, in die Nase, sie keuchte, wollte nach Luft schnappen, doch sie hielt sich zurück. Erst als ihr Kopf die Wasserfläche durchbrach, gab sie dem Hustenreiz nach, spuckte Wasser und sog gierig die feuchte Luft ein.
»Ich will, dass du mit mir kommst«, rief ihr Jaquento zu, der abgetrieben worden war. »Lass mich nicht allein!«
Bevor sie ihn fragen konnte, was er damit meinte, verschwand er hinter einem Wellenberg. Einen Moment lang war nur Sinosh zu sehen, der auf dem Haupt des jungen Hiscadi balancierte, dann verschwand auch die Echse im Wellental.
Die Mantikor trieb weiter von ihrer Kapitänin fort. Noch stellte sie ihren
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