Sturmwelten 02. Unter schwarzen Segeln
Bug trotzig dem Meer entgegen, noch ragte sie hoch über dem Wasser auf, doch es war nur noch eine Frage der Zeit, bis das Schiff – mein Schiff! – von der See verschlungen würde. Tränen liefen Roxane über die Wangen, als sie an all die Verluste denken musste, die sie auf dem Schiff erlitten hatte. Und all die Verluste der anderen, für die sie als Kapitänin und Offizierin die Verantwortung trug.
Einem Impuls folgend, knöpfte sie ihre Uniform auf, die schon schwer wie ein Gewicht an ihr hing. Immer wieder wurde sie unter Wasser gezogen, immer wieder rollten Wellen über sie hinweg, und ihren Fingern entglitten die metallenen Knöpfe. Quälend langsam löste sie sich aus dem Uniformrock, dessen nasser Stoff wie ein Anker wirkte. Die steife Kleidung klebte an ihrem Leib, drohte sie mit sich in die Tiefe zu reißen. Die Uniform, ihr ganzer Stolz, bedeutete jetzt ihr Todesurteil, stemmte sich gegen ihre Versuche zu schwimmen, hielt sie gefangen, wollte sie nicht loslassen.
Wieder wurde sie unter die Wasseroberfläche gezogen, sank trotz strampelnder Beine tiefer, fort von Licht und Luft und Leben.
Dann endlich öffnete sie den Gürtel, glitt aus dem schweren Rock, schoss förmlich nach oben, atmete wieder und schrie ihren Zorn in die gefühllose Welt hinaus, die ihr mit schneidendem Wind antwortete.
Es kostete Roxane noch mehr Kraft, sich ihrer Schuhe zu entledigen, und als sie sich wieder umsah, konnte sie im aufgewühlten Meer kaum noch etwas erkennen. Die Mantikor war Dutzende Fuß von ihr entfernt, die Boote längst aus ihrer Sicht verschwunden. Die Wellen trieben sie in Richtung der Küste, wo sich die Macht des Meeres brüllend und zischend an den Klippen entlud. Von der géronaischen Fregatte oder der Todsünde war nichts zu sehen, aber Roxane hatte auch
keine Zeit, lange Ausschau zu halten. Ihr ganzes Sein konzentrierte sich auf die Küste, das schier endlos weit entfernte Land, das ihr Rettung versprach und zugleich mit dem Tod drohte.
In einiger Entfernung hörte sie jemanden ihren Namen rufen, doch sie konnte niemanden ausmachen. Jaquento musste wohl versuchen, sein Floß zu erreichen. Sie selbst konnte schon froh sein, wenn es ihr gelang, zur Küste zu schwimmen. Inmitten der Wellen, des kalten Windes, der wirbelnden Gischt war sie auf sich allein gestellt.
Während in ihrem Kopf die Gedanken umherwirbelten, schwamm sie in Richtung der Klippen. Die Bewegungen fanden sich wieder, obwohl sie lange nicht mehr geschwommen war. Sie versuchte, sich im Takt der Wellen zu bewegen, sich von ihnen tragen zu lassen, anstatt sich gegen sie zu wehren. Dennoch schluckte sie immer wieder Salzwasser, tauchte unfreiwillig unter und musste mit der Panik kämpfen, wenn um sie herum nur gedämpftes graues Licht durch das Wasser drang und sie kaum sagen konnte, wo oben und wo unten war.
Schon bald bemühte sie sich nur noch, nicht unterzugehen. Ihre ganze Kraft reichte lediglich aus, um sich über Wasser zu halten, und manchmal nicht einmal das. Die Wellen machten mit ihr, was sie wollten, wirbelten sie herum, schlugen sie von einer Seite auf die andere. Ihre Arme schmerzten, und ihr linker Oberschenkel brannte. Die Knie fühlten sich geschwollen an, und ihr ganzer Leib war kalt, nur Ballast, der gegen sich selbst zu kämpfen schien.
Sie konnte spüren, wie ihre Anstrengungen erlahmten. Sie wollte schwimmen, wollte nicht aufgeben, aber ihr Körper versagte ihr den Gehorsam, langsam, schleichend. Immer wieder musste sie innehalten, hinnehmen, dass Wellen über sie hinwegrollten.
Noch immer waren die Felsen fern, und inzwischen beschlich Roxane Mutlosigkeit. Selbst wenn sie es bis zur Küste schaffen sollte, konnte sie kaum hoffen, an Land zu gelangen. Die Brandung war hart, die Klippen hoch, und es gab nur wenige Stellen, an denen man überhaupt landen konnte, besonders nach einer Tortur wie der ihren.
Ihre Augen versuchten, die Mantikor zu finden. Doch von der Fregatte war nichts mehr zu sehen; es war, als habe sie niemals existiert.
Erschöpft legte Roxane den Kopf in den Nacken und ließ die Arme pendeln. Nur hin und wieder strampelte sie noch, um nicht unterzugehen. Sie fragte sich, wie es sein würde, zu ertrinken. Einzuatmen und nur Wasser in die Lungen zu saugen. Nach Luft zu ringen und innerlich ebenso kalt zu werden wie ihre Haut und ihre Muskeln. Sie würde sinken, hinab in die Tiefe, dunkler und dunkler, fort von Stürmen, von Verpflichtungen und Sorgen und Angst. Alles würde von ihr abfallen,
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