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Sturmwelten 02. Unter schwarzen Segeln

Sturmwelten 02. Unter schwarzen Segeln

Titel: Sturmwelten 02. Unter schwarzen Segeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hardebusch
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zurückbleiben an der Oberfläche, und nur eines kam hinzu – der Tod.
    Die Vorstellung verlor ihren Schrecken. Selbst wenn sie sich retten konnte, wäre ihr Leben vorbei. Wie gnädig erschien ihr dagegen die See mit ihrer kalten Umarmung. Sie hatte immer nur auf das Meer gewollt – was also konnte passender sein als ein Tod im Meer?
    Ihre Beine erlahmten. Ihr Geist wanderte an einen anderen Ort. In ihrer Vorstellung durchschritt sie das Tor zum Garten ihres Elternhauses, lief unter den Bäumen entlang, die ihr Vater hatte pflanzen lassen, über den Rasen, der im Sonnenlicht ihres Traums grüner leuchtete, als er es jemals getan hatte. Da war die alte Tür, deren roter Anstrich abblätterte. Dieses Muster aus Holz und Farbe, das sie so oft gesehen hatte. Die Klinke war rostig, aber gut geölt, und sie senkte sich geräuschlos. Überhaupt war es still
um sie herum, keine Vögel, kein Wind und kein Meeresrauschen.
    Roxane versank ohne Gegenwehr. Die See empfing sie wie eine Geliebte, umarmte sie gänzlich, liebkoste ihre Haut. Licht schimmerte zu ihr hinab, verschwand in den grauen Tiefen. Es war so viel ruhiger unter der Oberfläche, so viel friedlicher. Es gab keine Schlachten, keine Kriege, kein Blut.
    In ihren Lungen brannte das Verlangen nach Luft, breitete sich aus, fuhr ihr in die Glieder. Es schmerzte, doch sie wusste, dass es bald vorbei sein würde.
    Sie wollte ausatmen, die See in sich aufnehmen, sich ihr überantworten und alles beenden.
    Eine Hand packte sie, riss sie empor, zum Licht, vor dem sich ein dunkler Umriss abzeichnete. Sie schrie, atmete ein, doch es war kein Wasser, das ihr Vergessen schenkte, sondern kalte Luft, die in ihre Lungen strömte und ihre Brust mit eisiger Glut füllte. Ihre Augen brannten vom Meerwasser, in ihren Ohren rauschte es, und sie brüllte: »Du verfluchter Mistkerl!«
    Mit Mühe rieb sie sich die Augen, öffnete die Lider, doch es war nicht Jaquento, der sie festhielt, sondern Groferton. Der Maestre blickte sie unergründlich an und sagte: »Sie können mir später danken, Thay. Jetzt brauchen Sie alle Luft, die Sie bekommen können, zum Atmen.«
    Verwirrt blickte Roxane sich um. Noch immer schwamm sie im Meer, vielleicht siebzig Fuß von der Küste entfernt. Neben ihr befand sich Groferton, doch der Maestre schwamm nicht, sondern lag auf dem Wasser, als wäre es für ihn fester Boden. Seine Uniform war durchnässt, und seinen Mantel schien er abgelegt oder verloren zu haben. Seine Züge waren zu einer starren Maske absoluter Konzentration erstarrt, als er Roxane noch einmal emporhob. Es war, als kröche sie durch eine biegsame Wand, als würden dicke Spinnenfäden
ihren Weg kurz blockieren, ehe sie nachgaben. In ihrem erschöpften Geist sah sie sich über das Wasser laufen, von hier bis Thaynric, doch als Groferton keuchend neben ihr zum Liegen kam, war es mehr, als lägen sie in einem weichen Bett.
    »Ich kann das nicht mehr lange aufrechterhalten, Thay«, presste der Maestre angestrengt hervor. »Wir müssen schnell zur Küste.«
    Den Protest ihres Körpers ignorierend, nickte Roxane und richtete sich auf. Von ihrer Verzweiflung war nichts mehr geblieben. Sie hatte sie unten gelassen, in der See. Ihre völlig überraschende Rettung versetzte sie in eine seltsame Hochstimmung. Wer hätte gedacht, dass Groferton mein Retter sein würde , fragte sie sich und musste beinahe schmunzeln.
    »Es freut mich, dass Sie die Situation mit Humor nehmen können, aber …«
    Weiter kam er nicht. Das Wasser, das sie vor einem Moment noch getragen hatte, als wäre seine Oberfläche eine zwar elastische, aber doch reißfeste Decke, gab unter ihnen nach. Zuerst sanken sie nur ein Stück ein, dann jedoch rutschten beide weiter. Aber nicht bis hinunter, sondern sie trieben oben, als säßen sie auf Fässern voller Luft.
    »… auch das wird nicht ewig halten«, versprach Groferton und nieste. »Falls mich die Kälte nicht ohnehin bald dahinrafft.«
    »Zur Küste, Thay«, befahl Roxane, und es war ihr eine unbeschreibliche Freude, ihre eigene Stimme zu hören.
    Gemeinsam paddelten sie, ließen sich von den Wellen tragen, stützten sich gegenseitig. Vor ihnen wuchsen die Klippen in die Höhe, gezackte, braune Felsen, die wie Klingen wirkten, die in die See stachen und diese verletzten, bis sie brüllte und schäumte. Hoch über ihnen kreisten Möwen, dunkle Flecken vor dem grauen Himmel, die auf dem beginnenden Sturm ritten.

    So sehr sich Roxane auch bemühte, sie konnte nirgends eine

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