Sturmwelten 02. Unter schwarzen Segeln
flache Stelle erkennen, keine Bucht, keinen Strand. Nur graue, unwirtliche Wände, die bereits an guten Tagen eine Herausforderung dargestellt hätten.
Dann aber sah sie eine kleine Gestalt zur Linken, die frenetisch winkte. Mit einem bleischweren Arm deutete sie dorthin. Groferton brummte nur, als seien Worte zu viel Anstrengung.
Die letzten Schwimmzüge waren eine Qual. Bei jedem Zug schwor sich Roxane, dass kein weiterer folgen würde, doch dann rang sie ihrem Leib noch einen ab und noch einen, immer nur an den nächsten denkend.
Als sie aufblickte, spürte sie schon die Gischt der Brandung auf ihrem Gesicht, die hochspritzte. Sie sah zwei Männer gebeugt zwischen den Felsnasen stehen, arbeitend. Eine Gestalt richtete sich auf, und auf ihrer Schulter saß ein kleiner, goldener Fleck. Roxane lachte, ob vor Angst oder Erleichterung, hätte sie selbst kaum zu sagen gewusst. Jaquento warf ihnen ein Tau zu, das nur drei Fuß von ihnen entfernt ins Wasser schlug. Roxane gab sich einen letzten Ruck, stieß sich noch einmal ab und packte das Seil. Sie spürte Grofertons Hand an ihrem Rücken, seinen Griff an ihrer Hose, dann fühlte sie sich durch das Wasser gezogen, fort von Untergang und Tod, hin zu Jaquento.
THYRANE
Der Admiral konnte sich gut an manches Gefecht erinnern, vor dem er ein weniger flaues Gefühl im Magen gehabt hatte als jetzt. Selbst bei kontroversen Abstimmungen im Parlament oder dem Auftritt vor Gericht, als man ihn wegen Korruption und Untreue angeklagt hatte, waren seine Hände trockener geblieben. Vielleicht war es damals der gerechte Zorn gewesen, der alles andere überdeckt hatte, oder der Rausch zu Beginn einer Schlacht, aber insgeheim befürchtete er, dass die Situationen einfach nur ungefährlicher gewesen waren. Wenn nicht für den Leib, dann zumindest für die Seele .
Die Gegend, in der er sich befand, bereitete ihm keine Sorgen, auch wenn die Gassen schmutzig, die Häuser niedrig und die Menschen arm waren. Er hatte schon Schlimmeres gesehen, an übleren Orten gehaust, und er wusste, dass man ihn erwartete. Zumindest sein Hinweg würde sicher sein.
Leise murmelnd, verfluchte er Gleckham, Holt und die ganze Bande der Würdenträger, die ihn zu diesem Schritt zwangen. Natürlich wäre es zu viel verlangt gewesen, dass sie ihre Geheimnisse einfach so preisgaben, aber wenn sie es getan hätten, dann wäre die ganze Angelegenheit längst beendet. Thyrane schwor sich, dass er es ihnen nicht vergessen würde. Wenn sich ihm eine Möglichkeit bot, würde er sie dafür schwitzen lassen, so wie er nun schwitzte. Oder bluten ,
dachte er mit grimmigem Lächeln. Doch leider herrschte Krieg, und im Krieg war es schwierig, Menschen wie Holt und Gleckham in die Parade zu fahren, solange sie ihrer Nation Resultate lieferten.
Der Gestank, der in diesem Teil Lessans herrschte, war erbärmlich. Der Regen hatte zwar einigen Unrat davongespült, aber anderer war in großen Pfützen hängen geblieben und moderte nun vor sich hin. Allerlei Getier lebte in den Gassen, kecke Ratten, magere Katzen und große schwarze Vögel, die sich mit den Ratten um die besten Stücke balgten. Im feuchtwarmen Klima der Sturmwelt verrottete alles schnell – auch Kadaver, wie der aufgeblähte und halb zersetzte Leib einer Katze, dessen Geruch Thyrane die Nase rümpfen ließ. Früher hatte er gedacht, dass er sich eines Tages an alle Erscheinungsformen des Daseins gewöhnen würde, doch die Zeit zeigte ihm, dass dies nicht der Fall war.
Das beschriebene Haus lag am Ende der schlammigen Gasse. Es war alt, noch im Stil der ersten Kolonialisten aus Hiscadi gebaut, als diese mit harter Hand über die Sturmwelt geherrscht hatten, mit dicken Mauern und einem Innenhof. Jetzt war das Gebäude heruntergekommen. Einst mochte es weiß getüncht gewesen sein, doch nun war es schmutzig braun. Die Veranda war kaum mehr als eine Ansammlung faulender Bohlen, aber die Tür und die Fensterläden wirkten erstaunlich stabil.
Eine Bande Jugendlicher lehnte an der Wand des Gebäudes und betrachtete Thyrane, der auf seinen Gehstock gestützt die Gasse hinabspazierte, als gehöre ihm das ganze Viertel. Es waren raue Gestalten, obgleich höchstens vierzehn- oder fünfzehnjährig. Ihr hartes Leben hatte jetzt schon Spuren in ihren Gesichtern hinterlassen, und der Admiral vermutete, dass sie für eine Handvoll Silber zu jeder Schandtat bereit waren. Jetzt allerdings betrachteten sie ihn nur neugierig,
nicht einmal feindselig, obwohl er aus einer Welt
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