Sturmwelten 03. Jenseits der Drachenküste
gewesen, das hatte Sinao mittlerweile wieder und wieder an Bord gehört. Die Männer und Frauen hatten den Streit nicht verstanden, den ihr Kapitän und Thyrane mit der Compagnie und Admiral Holt hatten, aber sie hatten natürlich verstanden, dass dieser Zwist dazu führte, dass sie nicht von Bord gehen durften. Das Leben auf den großen Schiffen schien oft recht eintönig zu sein, und so konnte Sinao gut verstehen, dass sich die Besatzung über jede Abwechslung freute.
Zwar argwöhnte die Paranao, dass die meisten der Seeleute lieber in Lessan mit seinen Hafenkneipen und Bordellen als auf einer winzigen, dicht bewaldeten Insel an Land gegangen wären, aber soweit sie die Matrosen inzwischen kannte, hatten diese sich an das fremdbestimmte Leben längst gewöhnt. Wie ich auf Hequia, erkannte Sinao schlagartig.
Wenn andere lange genug über dein Schicksal entscheiden, stellst du irgendwann keine Fragen mehr. Kannst gar keine Fragen mehr stellen, weil dein Blick nur noch bis zum Boden reicht und du nicht mehr siehst, dass es auch mehr geben könnte als das.
Erst Majagua hatte ihr beigebracht, dass es sich lohnte, den Blick vom Boden zu heben, und dass es noch nicht zu spät war, um ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen.
»Und, aufgeregt?«, erkundigte sich Manoel, da Sinao sich neben ihn gesetzt hatte.
Die Paranao nickte schnell. »Ich habe noch nie wirklich welche getroffen, weißt du? Ich meine, ich kenne natürlich viele Paranao. Auf Hequia lebten Hunderte von ihnen. Aber immer nur als … als …«
»Sklaven«, beendete der junge Maestre ihren Satz, und Sinao nickte, da sie merkte, dass der Schmerz ihr die Kehle zuschnürte.
Sie blickte zum Strand, der sich dank der Anstrengung der Ruderer schnell näherte. Der Sand war hell, fast weiß, und bildete einen deutlichen Kontrast zum Grün des Waldes, dessen Ausläufer fast bis zum Meer reichten. Sie sah, dass der Strand an keiner Stelle breiter als vierzehn Schritt war. Einige Palmen, die sich weiter als die anderen an das Meer gewagt hatten, ließen ihre Wedel bis über die Wellen hängen, die unablässig gegen das Land anrannten.
Der Anblick erinnerte sie ein wenig an Hequia, aber dann schüttelte sie den Kopf, um den Gedanken zu vertreiben. Die Sklaveninsel hatte keine Macht mehr über sie. Majagua war stärker als Tangye gewesen, und Sinao trug ihn in ihrem Herzen. Die Soldaten der Compagnie waren mächtig, doch Sinao gehörte ihnen nicht mehr. Sie gehörte nur noch sich selbst – sie war frei.
Das Boot glitt mit einem Knirschen auf den Sand, und Matrosen sprangen hinaus, um es weiter aus dem Wasser zu
ziehen. Auf der blauen See spiegelte sich die Sonne, und ihr Licht brach sich in so vielen winzigen Wellen, dass selbst Sinao ihre Anzahl nicht auf einen Blick erkennen konnte.
Der Admiral erhob sich würdevoll und stieg über die Bordkante. Manoel sprang leichtfüßig hinterher, während Sinao etwas vorsichtiger folgte. Das Gefühl des warmen, feinen Sandes unter ihren Füßen war großartig. Sie grub die Zehen hinein und beobachtete, wie eine Welle sie umspülte und ihre Füße fast ganz im Sand verschwinden ließ.
Dies war eine der Inseln ihres Volkes, in das Licht des mächtigen Anui getaucht, der dieses Land mehr als alle anderen liebte. Diese Inseln waren ihre Heimat, und sie war eine von Anuis Töchtern.
Noch während Sinao es genoss, sich für einen Moment zu Hause zu fühlen, bemerkte sie, dass ihre Ankunft nicht unbeobachtet geblieben war. Auch Manoel hatte die Neuankömmlinge schon bemerkt, denn er trat zwischen den Matrosen hindurch, die vorsichtig in der Nähe des Bootes blieben, als könne es sie beschützen, und hob die Hand zum Gruß.
Es war seltsam, ihn in der Zunge ihres Volkes sprechen zu hören, vor allem, da er seine Herkunft dennoch nicht verbergen konnte.
»Ich kenne und ehre meinen Großvater«, sagte der Maestre zu den Paranao, die sie aus dem Schutz des dichten Waldes beobachteten.
Es war eine einfache Formel, aber in Verbindung mit Manoels Grinsen, seiner Fähigkeit, ihre Sprache zu sprechen, und seiner Kenntnis der Gebräuche der Insel sorgte sie dafür, dass die Paranao aus dem Schatten des Dschungels in das Licht des Strandes traten. Es waren fünf, zwei junge Mädchen und drei ebenso junge Männer, die nur einfache Lendenschurze trugen. Einige hatten auch Ketten um den Hals, und die jungen Männer hatten ihr langes Haar zu beeindruckenden
Türmen geflochten, während die jungen Mädchen das ihre kurz trugen, mit
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