Sturmwind der Liebe
des Schneesturms nicht von Elgin-Tyne weg. Es tut mir schrecklich leid, Alec.«
Arielle hatte Alec Carrick bei sich immer den ›schönen Baron‹ genannt. Ein alberner, aber zutreffender Name. Doch jetzt sah er eingefallen aus. Über den Gesichtsknochen spannte sich die Haut. Die sonst so strahlenden blauen Augen, beim Lachen so hell wie der Sommerhimmel, in der Erregung so tief wie die Nordsee, waren jetzt stumpf, fast undurchsichtig. Leer. Und es kam Arielle vor, als wäre er nicht wirklich mit ihr und Burke zusammen. Er sprach zwar mit ihnen, er beantwortete ihre Fragen und nahm ihr Beileid entgegen, aber er war nicht da. Wenn Arielle sich früher gefragt hatte, was Alec für Nesta empfand, so war sie jetzt nicht mehr im Zweifel. Vor Mitleid mit ihm und aus eigenem Kummer brach sie in Tränen aus.
»Geht es dem Kind gut?« fragte Burke und zog Arielle an sich.
Alec sah ihn unsicher an.
»Deine Tochter, Alec. Geht es ihr gut?«
»Oh, ich nehme an, ja. Man hat mir jedenfalls nichts Gegenteiliges gesagt. Ich lasse Mrs. MacGraff rufen. Sie wird für eure Bequemlichkeit hier sorgen. Bitte, bleibt noch! Das Unwetter hält sicherlich noch eine Woche lang an. Nestas Grab liegt wahrscheinlich tief im Schnee. Ich bringe euch hin. Ah, hier ist Mrs. MacGraff. Bitte, wein doch nicht, Arielle! Burke, ich danke euch nochmals, daß ihr gekommen seid.«
Etwas später, als sie in ihrem Zimmer waren, gewann Arielle die Fassung zurück. »Er steht unter Schock«, sagte sie zu ihrem Mann. »Der arme Alec! Und das Kind. Wir müssen es uns ansehen. Wie heißt es?«
Alec wirkte verdutzt, als Arielle ihn beim Abendessen nach dem Namen fragte. »Sie muß einen Namen bekommen, Alec. Und getauft werden, und zwar bald.«
»Ist sie denn krank?«
»Nein, das bestimmt nicht. Aber getauft muß sie werden. Hat Nesta einen Namen für sie ausgesucht?«
»Harold.«
»Und für ein Mädchen?«
Alec schüttelte den Kopf.
»Hast du irgendwelche Namenswünsche?«
Alec schwieg. Das Kind lebte und wurde gut versorgt. Er konnte es oft genug aus Leibeskräften brüllen hören. Smythe hatte recht, sie hatte eine kräftige Lunge. Und jetzt diese Frage! Wen kümmerte der Name? »Hallie«, sagte er schließlich mit einem Achselzucken. »Hallie. Das klingt so ähnlich wie Harold. Nesta würde der Name gefallen.«
Doch weiterhin besuchte Alec seine Tochter nicht. An dem Tag vor ihrer Abreise vom Landsitz Carrick brachten Arielle und Burke das Thema bei ihrem Gastgeber zur Sprache.
»Alec, Arielle und ich haben ausführlich darüber diskutiert. Wenn es dir recht ist, nehmen wir Hallie mit zu uns nach Ravensworth.«
Alec starrte ihn an. »Ihr wollt das Kind mit nach Ravensworth nehmen? Aber warum denn nur?«
»Du bist ein Mann, Alec. Und ich bin immerhin ihre Tante. Ich würde sie liebevoll aufziehen, genau wie Burke. Hier hat sie doch keinen, der sich um sie kümmert, außer der Amme. Ein Kind braucht Pflege und Liebe, Alec.«
Leise und zerstreut antwortete Alec: »Ich kann mein Kind nicht weggeben.«
»Doch«, sagte Burke. »Du brauchst nicht zu befürchten, daß du damit verantwortungslos handelst. Du bist ein alleinstehender Mann, ein Witwer. Du willst doch sicherlich wieder zu deiner Schiffahrt zurückkehren, oder? Wieder Kapitän auf einem deiner Handelsschiffe werden, nicht wahr? Welches ist dein Lieblingsschiff? Ach ja, die
Night Dancer.«
»Ja,
die Schonerbark ist ein wunderbares Schiff«, erwiderte Alec. »Hier im Hause ist es so still, wißt ihr. Ich will nicht mehr lange hier bleiben. Mein Verwalter Arnold Cruisk ist ein fähiger Mann und wird den Landsitz gut in Ordnung halten. Ich habe ihn selber ausgebildet. Ihm kann ich vertrauen.«
»Du kannst doch wohl einen Säugling nicht mit an Bord nehmen und mit ihm wer weiß wohin segeln«, sagte Arielle. »Sie braucht ein Heim, Alec, Nestwärme und Menschen, die sich um sie kümmern. Burke und ich können das übernehmen.«
»Ich muß mir das überlegen. Es scheint mir nicht richtig – mein Kind anderen zu überlassen und – nun, ich werde jetzt ausreifen und mir die Sache durch den Kopf gehen lassen.«
Arielle wollte ihn darauf aufmerksam machen, daß es draußen wieder schneite, behielt es aber für sich. Als Alec das Wohnzimmer verlassen hatte, sagte Burke leise zu ihr: »Er braucht Zeit. Es ist eine schwere Entscheidung.«
Als sich Alec abends zum Essen umzog, hörte er das Baby oben brüllen – es stieß scharfe, durchdringende Schreie aus, die ihn zusammenzucken ließen. Er
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