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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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er das verbergen. Er erzählte von Maschas Verhaftung, von ihrer Verurteilung, davon, daß es damals eine Zeit gegeben hatte, in der er gedacht hatte, sterben sei ebenso gut wie leben.
    »Mir blieb nur, die Sowjetunion zu verlassen«, sagte er, und wieder hatte er diesen Kummer in den Augen, »ich kann hier einigermaßen leben. Theaterkritiken, Rezensionen, Kurzgeschichten... irgendwie komme ich durch.«
    »Nie mehr Rußland?«
    »Es ist alles anders gekommen. Lenin ist tot... und wer weiß, was wird...« Er lauschte seinen Worten nach, dann winkte er der Bedienung und bestellte noch zwei Liköre. Felicia berichtete von ihrem Leben, ohne Scheu diesmal, weil sie wußte, daß sie ihren Preis zahlte, und weil sie in dem veränderten Maksim ein neues Verständnis witterte. Sie erzählte von ihrer Fabrik, ihren Reisen, ihren Verträgen, ihrem Geld. Von ihrem Leben in Hotels und auf Empfängen.
    »Aber die Luft wird dünn weiter oben. Ich habe die alten Freunde nicht mehr, und eigentlich niemanden wirklich.«
    »Dein Mann?«
    »Von Alex bin ich geschieden, seit sieben Jahren schon. Ich hab' nie wieder von ihm gehört. Meinen jetzigen Mann sehe ich selten. Die Kinder auch kaum.«
    »Du hast Kinder?«
    »Zwei Töchter. Belle und Susanne.« Eine Sekunde lang kam ihr der Gedanke, ihm zu sagen, daß Belle sein Kind war, aber ebenso schnell verwarf sie ihn wieder.
    Nicht jetzt, dachte sie, später... vielleicht... Sie redeten und redeten. Diese Begegnung war wie all ihre Begegnungen vorher: Sie standen verwirrt vor der Erkenntnis, daß Jahre vergangen waren und das Leben den anderen nicht unberührt gelassen hatte, und fanden doch ohne Zögern die alte Vertrautheit wieder.
    »Mir ist«, sagte Felicia, »als könnte ich nie wieder stehenbleiben und ruhig atmen.«
    Maksim sah sie an. »Mir geht es genauso.«
    Eine müde Kellnerin näherte sich dem Tisch und gähnte provokant. »Sie sind die letzten«, knurrte sie, »und es ist fast halb vier.«
    Tatsächlich war die Kratzstimme des Sängers längst verstummt, und kein Gast saß mehr an den Tischen.
    »Wir schließen jetzt«, fuhr die Kellnerin mürrisch fort. Maksim und Felicia standen auf und zogen gleichzeitig ihre Geldbeutel hervor. Es entspann sich eine kurze und heftige Diskussion darüber, wer zahlen sollte; ein Wettkampf, den Felicia gewann, weil die Kellnerin ihr die offene Hand hinhielt - in der Annahme, hier mehr Trinkgeld zu kassieren. Draußen auf der Straße funkelten noch hier und da Lichter, und Menschen strichen um die Häuser, aber die Nacht näherte sich ihrem Ende. Felicia fiel etwas ein, das sie einmal irgendwo gehört oder gelesen hatte: Es kommt immer wieder der nächste Morgen. Und er ist grau und einsam.
    Von einer unerwartet heftigen Furcht ergriffen, suchte Felicia Maksims Arm. Sie konnte jetzt nicht allein sein. Sie wollte seine Nähe - nicht berechnend wie früher, sondern aus einer untergründigen Angst heraus; jener Angst, die sie seit den Tagen des Krieges mit sich trug und die sie verletzbar gemacht hatte.
    »Wohnst du bei deiner Mutter?« fragte Maksim.
    »Nein, im Adlon. Und du?«
    »In einem Hinterhaus auf dem Kaiserdamm.«
    »Ich würde deine Wohnung gern sehen.«
    »Jetzt?«
    »Ja. Wirklich... nur anschauen.«
    Es war nach vier Uhr, als sie ankamen. Das Hinterhaus erreichten sie durch ein breites Hoftor, in dem alle Schritte unheimlich widerhallten, und über einen schmutzigen Hof, der voller Mülltonnen und Gerümpel war. Felicia balancierte in ihren hochhackigen, weinroten Wildlederschuhen vorsichtig über den Schutt hinweg und fragte sich plötzlich, was wohl der feine Harry Morten sagen würde, könnte er sie jetzt sehen. Maksim schloß die Haustür auf. Über eine enge, gewundene, knarrende Holzstiege gelangten sie in den ersten Stock.
    »Hier«, sagte Maksim, »meine Wohnung!«
    Sie bestand aus zwei Zimmern, einer kleinen Küche und einem noch kleineren Bad und war sehr ärmlich eingerichtet. In einem Zimmer standen ein alter Schreibtisch, zwei Stühle und ein Bücherregal. In dem anderen befanden sich ein Matratzenlager und an der Wand - mit Reißzwecken befestigt - ein Bild von Lenin. Sonst gab es buchstäblich nichts. Vom Fenster aus blickte man auf die kahle Wand des nächsten Hauses.
    Maksim verschwand in der Küche und kehrte mit leeren Händen zurück. »Nichts da. Aber möchtest du eine Zigarette?«
    Felicia nickte. Sie setzten sich nebeneinander auf die Matratze und rauchten schweigend. Maksim hatte ein paar Kerzen aufgetrieben,

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