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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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weißt doch sicher alles... wegen Kat...«
    »Phillip hat es mir erzählt, ja. Er weiß es von Kat. Er hatte niemanden, mit dem er Weihnachten hätte verbringen können, also habe ich ihn hierher eingeladen. Außerdem weiß ich, daß du nie feige warst.«
    Felicia atmete tief. Dann reckte sie die Nase in die Luft.
    »Nein, feige bin ich nicht«, bestätigte sie, »aber es tut mir so leid, was passiert ist. Ich war wirklich davon überzeugt, Phillip müsse tot sein. Wir alle waren es doch.«
    »Du mußt dich nicht rechtfertigen. Ich habe dich nicht angegriffen.«
    »Ja, ich weiß, du denkst, daß ich allein mein Leben lang damit fertig werden muß und daß das Strafe genug ist. Das ist es auch. Phillip dasitzen zu sehen, mit seinem Holzbein und seinem zerquälten Gesicht, und an Kat zu denken, wie sie aussah, als sie Wolff heiratete... denk nicht, daß ich eine einzige meiner Sünden je vergesse. Ich vergesse leider überhaupt nie irgend etwas!«
    Jo nahm ihre kalte Hand. »Geh ein bißchen sanfter mit dir um. Und paß auf dich auf. Ich weiß, was die ganze Familie dir zu verdanken hat, daß du es bist, die uns Lulinn erhalten, uns durch die Inflation gesteuert und mir mein Studium ermöglicht hat. Was auch geschieht, ich werde immer zu dir halten.«
    »Hör auf, sonst fange ich an zu weinen!« Felicia hob die Arme und schlang sie um Jos Hals. »Ich glaube, du bist das einzige, was in meinem Leben Bestand hat!«
    Jo sah sie ernst an: »Wofür auch immer - gib nicht dein Glück, deine Gesundheit, deine Ruhe hin!«
    Felicia nickte, entschlossen diesen Rat zu befolgen. Natürlich, sie hatte zu maßlos gelebt. Sie ging in den zwei Wochen auf Lulinn jeden Tag stundenlang spazieren, stapfte über weiße Wiesen und durch verschneite Wälder, unternahm Ausritte mit Jo und Nicola, saß mit der ganzen Familie vor dem Kamin, gewärmt von den grauen Schatten der winterlich frühen Dämmerung, knackte Nüsse, sah in den Flockenwirbel vor dem Fenster und rührte weder eine Zigarette noch einen Tropfen Alkohol an. Mit ihren Kindern ging sie Schlitten fahren, versuchte, ihnen das Reiten beizubringen, und fuhr mit ihnen in ein Kindertheater nach Insterburg. Sie war eine ganz andere Frau auf Lulinn. In langen Hosen und mit dickem Pullover tauchte sie morgens zum Frühstück auf, ungeschminkt, noch blaß vom Schlaf, aber zuversichtlich und voller neuer Ideen für den Tag.
    »Heute werden wir zusammen Kuchen backen«, sagte sie zu Belle und Susanne, die für die zwei Wochen nach Lulinn übergesiedelt waren, oder: »Heute machen wir eine Schneeballschlacht auf dem Hof. Fragt Paul, ob er dabeisein will!«
    Ende der ersten Januarwoche reisten erst Jo und seine Familie ab, dann Elsa und Nicola, dann Martin und Sara. Die alte Unruhe erwachte wieder in Felicia. Sie fing an zu rauchen und stand stundenlang am Fenster. Sie war verrückt nach Maksim, verrückt nach Berlin. Sie sehnte sich nach dem vergammelten Zimmer am Kaiserdamm, nach den schmuddeligen Kneipen auf der Friedrichstraße, nach den bunten Revuen, nach Glitzer, Show und Geschrei.
    Einen Tag eher als ursprünglich geplant reiste sie ab, in allerfrühster, dunkler Morgenstunde. Für Benjamin hinterließ sie einen Brief, in dem sie ihn um Verständnis für ihren überstürzten Aufbruch bat. Es habe sich unerwartet eine phantastische geschäftliche Gelegenheit ergeben, und um die wahrzunehmen, müsse sie unverzüglich nach Berlin.

2

    An einem heißen Sommerabend kehrten Felicia und Maksim im Romanischen Café ein, und sie waren beide schlecht gelaunt. Sie hatten am Vormittag die neue Wochenendausstellung auf dem Messegelände besucht, weil Maksim darüber schreiben mußte, und mit jeder Minute war seine Wut darüber gestiegen, daß man ihn zwang, sich mit Gartenstühlen, Sonnenschirmen und Paddelbooten abzugeben.
    »Ich werd' verrückt«, sagte er schließlich zornig, »komm, wir gehen!«
    Sie mieteten ein Auto und fuhren hinaus an den Wannsee, aber hier wiederum störten Maksim die vielen Menschen und das Kindergeschrei. Irgendwann begehrte Felicia auf und sagte, er solle seine schlechte Laune nicht an ihr auslassen, womit die Stimmung endgültig hin war. Schweigend fuhren sie zurück. Die Sonne tauchte den westlichen Himmel in ein blutrotes Licht, die Amseln zwitscherten laut, und die Rosen dufteten süß. Maksim fuhr viel zu schnell und unkonzentriert. Er fragte Felicia nicht, wohin sie wollte, er hielt einfach vor dem Romanischen Café, stieg aus und betrat den vollbesetzten,

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