Sturmzeit
wie hingegossen neben ihr, das Gesicht im Kissen vergraben, die Decke um die Beine gewickelt, die Haare zerwühlt, satt und müde von Liebe, Rotwein und Zigaretten. Felicia erhob sich, schlüpfte in ihre Schuhe undhängte sich Maksims Jackett um die Schultern, tappte ins Bad hinüber und versuchte sich in dem winzigen, verrosteten Becken zu waschen, das dort verloren an der Wand klebte und in das nur eiskaltes Wasser im hauchdünnen Rieselstrahl floß. Das Morgenlicht und der halbblinde Spiegel ließen ihren Teint fahl erscheinen, aber es gelang ihr jedesmal, aus sich die Frau zu machen, als die sie sich der Welt präsentieren wollte: Schön, ausgeruht, von unerschöpflichen Energien durchpulst. Parfümduftend und elegant kehrte sie ins Zimmer zurück, legte ihren Schmuck an und machte sich wie eine Verdurstende über den Kaffee her, den Maksim bis dahin gekocht hatte. Sie trank Kaffee mit derselben Maßlosigkeit, mit der sie Zigaretten konsumierte und mit Maksim ins Bett ging. Manchmal während dieser Frühstücke ertappte sie sich dabei, daß sie an die Felicia von 1914 zurückdachte und an die Träume, die sie damals mit Maksim verbunden hatten. Albern, sagte sie sich, während sich Maksim über den Tisch lehnte, sie ansah und fragte: »Wann hast du eigentlich aufgehört, das zickige kleine Mädchen zu sein?«
»Ich weiß nicht... vor langen Jahren...« Sie stand auf und griff nach ihrer Handtasche. »Entschuldige. Ich muß gehen. Ich habe eine wichtige Verabredung.«
Sie hatte ständig wichtige Verabredungen, und manche führten sie fort von Berlin. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als gelegentlich nach München zu fahren, denn es schien ihr ratsam, Tom Wolff hin und wieder mahnend auf die Finger zu sehen. Zwei Dinge fürchtete sie auf diesen Reisen; eine mögliche Begegnung mit Kat und die Trennung von Maksim. Wolff wußte von Felicias Schwierigkeiten, und da er, trotz allem, einen Sinn für Fairneß hatte, arrangierte er ihre Treffen so, daß sich Kats und Felicias Wege dabei nicht kreuzten.
»Hast du einen neuen Liebhaber?« fragte er Felicia kurz vor Weihnachten, und als sie ihn anfauchte, er solle gefälligst nicht so unverschämt sein, kicherte er: »Du siehst nämlich ganz so aus. Frag mich nicht, woran man's sieht, aber man sieht es!«
Was Maksim anging, so wurden die Trennungen von ihm zum Alptraum. Felicia tigerte im Haus in der Prinzregentenstraße herum, starrte beschwörend das Telefon an, in der Hoffnung, Maksim werde einmal anrufen. Er tat es nie. Er holte sie auch nie am Bahnhof ab, wenn sie nach Berlin zurückkehrte, aber meistens saß er in seiner Wohnung, wenn sie kam, und ging ohne Umschweife mit ihr ins Bett.
Weihnachten verbrachte Felicia auf Lulinn. Schon im Zug nach Insterburg wäre sie am liebsten umgekehrt, weil sie auf einmal Panik bekam bei dem Gedanken, Maksim zwei Wochen lang nicht sehen zu können. Aber dann war sie auf Lulinn, und das alte Haus nahm sie mit vertrauter Zärtlichkeit auf. Auf den Weidezäunen lagen dicke Schneehauben, im Wohnzimmer stand eine gewaltige Tanne, Benjamin, Belle und Susanne kamen im Ponyschlitten von Skollna herüber. Alle waren versammelt: Tante Gertrud mit der protzigen Granatbrosche am Kleid, die sie unweigerlich jedes Weihnachten trug und die ebenso unweigerlich jedesmal krachend in ihren Suppenteller fiel, Onkel Victor, feist und weinselig, der von Geist und Tatendrang Adolf Hitlers schwärmte, Modeste mit ihrem Dauerverlobten, der so falsch sang, daß sich die Katzen von der Ofenbank erhoben und das Zimmer verließen. Laetitia musterte Felicia, die in ihrem neuen dunkelblauen Strickkleid und einem Saphircollier phantastisch elegant aussah, besorgt. Elsa kämpfte mit den Tränen, als Victor zum Abschluß des Abends eine lange, sentimentale Rede auf die Toten der Familie hielt. Jo, frisch promoviert und seit einem halben Jahr in einer renommierten Berliner Kanzlei assoziiert, hielt unter dem Tisch Lindas Hand, während Paul mit Belle und Susanne um den Weihnachtsbaum herumtobte. Benjamin fixierte Felicia unablässig und warf vor Verwirrung sein Weinglas um. Aus München waren Sara und Martin angereist, und Saras ruhiges Gesicht tat Felicia unerwartet gut. Es hatte sie zutiefst aufgewühlt und schockiert, als sie bei ihrer Ankunft feststellen mußte, daß Jo seinen Freund Phillip mitgebracht hatte. »Wie konntest du das tun?« fragte sie spät in der Nacht aufgebracht, als sie mit Jo noch einmal über den tiefverschneiten Hof ging.
»Du
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