Sturmzeit
die er mit geschmolzenem Wachs auf dem Fußboden befestigte. Sie gaben das einzige Licht im Raum. Ihr flackernder Schein verlieh den nackten Wänden ein wenig Wärme.
Felicia fröstelte leise und zog die Beine enger an den Körper. Maksim, ohne sie anzusehen, hatte die Bewegung gespürt. »Wir sind beide ziemlich kaputt«, sagte er und betrachtete Felicias elegante Schuhe und ihren kostbaren Schmuck mit unbestechlichem Gleichmut, »jeder auf seine Weise. Irgendwie haben wir unsere Träume verloren, auch du, obwohl du das Geld zu deinem Gott gemacht hast und im Reichtum fast erstickst. Wir sind leer, Felicia, leer und kalt.« Er blies seinen Zigarettenrauch in Richtung Lenin. »Scheiße, daß sich Götter immer wieder selbst entthronen«, sagte er bitter.
»Auf der anderen Seite«, entgegnete Felicia, ohne die Spur von Sentimentalität in der Stimme, »haben wir auch nichts mehr zu verlieren.«
Schweigend drückte Maksim seine Zigarette aus und wandte sich ihr zu. Im zuckenden Flammenschein wirkte sein Gesicht sehr verletzlich. Felicia dachte - und es war eigentlich das letzte, was sie in dieser Nacht bewußt dachte -: Was immer jetzt geschieht, es hat nichts zu tun mit Liebe oder Sehnsucht... oder mit irgendeinem von diesen verdammten Gefühlen, von denen wir in unserer Jugend glauben, daß sie dazugehören.
Felicia betrog Benjamin, wie sie Alex betrogen hatte, aber sie blieb sich und ihnen in einem Punkt treu: Außer Maksim gab es für sie keinen anderen Mann. Sie wäre nie auf den Gedanken gekommen, mit Harry Morten oder einem anderen aus der Branche ins Bett zu gehen, nicht, solange sie verheiratet war. Sie schlief mit den ihr jeweils angetrauten Männern, oder mit Maksim.
Das kahle Zimmer in dem heruntergekommenen Hinterhaus wurde zu ihrem geheimen Treffpunkt, und schon bald waren sie beide süchtig nach ihren Begegnungen dort. Maksim war den ganzen Tag damit beschäftigt, neue Filme anzusehen und Kritiken darüber zu schreiben, und Felicia traf sich mit den Harry Mortens der Stadt und quälte sich im übrigen mit den Modezeichnern herum. Manchmal saßen sie und Maksim einander gegenüber an seinem klapprigen Schreibtisch; er hackte mit konzentriertem Gesicht auf seiner Schreibmaschine herum, während sie Briefe schrieb oder seitenlange Verträge studierte. Meistens stand Felicia irgendwann auf, um vom Telefon des Pförtnerhauses aus bei Habels Weinstube anzurufen und das Abendessen zu bestellen: Krabbensalat, Hummercocktail, Kaviar auf hartgekochten Eiern, Rumtörtchen, Champagner; und immer Schokoladenpudding mit Krokantsplittern, weil Maksim verrückt danach war. Maksim bewahrte alle leeren Champagnerflaschen auf undstellte sie unter Lenins Bild. Er konnte laut lachen über diesen Anblick, aber sein Lachen hatte etwas von einer Clownsmaske; es wirkte verkrampft und so, als lauere gleich dahinter die Verzweiflung. Es konnte vorkommen, daß er das ganze teure Abendessen zum Teufel wünschte, statt dessen Felicias Hand nahm, sie hochzog und sagte: »Komm, mir fällt die Decke auf den Kopf, wir gehen irgendwohin!« Es machte ihm Spaß, sie in die verkommensten Spelunken zu schleppen, Hinterhofkneipen, in denen es nach Fisch stank und sich drittklassige Ganoven ihre Stelldicheins gaben; dann wieder mußte es eine Glitzerrevue auf der Friedrichstraße sein oder ein hochintellektuelles Kabarett auf dem Kurfürstendamm.
An vielen Tagen aber trieben sie beide auf die Wohnung am Kaiserdamm zu wie Schiffbrüchige auf eine Insel und verließen sie bis zum nächsten Morgen nicht mehr. Sie verzichteten auf Hummer und Kaviar, aßen statt dessen Butterstullen und tranken den lächerlich billigen Beaujolais, von dem Maksim seit Jahren lebte. Nackt lagen sie auf der Matratze und verteidigten sich gegen die Kälte, indem sie sich stundenlang liebten; nicht zärtlich, romantisch und staunend wie vor Jahren in Rußland, sondern hungrig, hastig, ungeduldig und fast grob. Sie waren beide jung und kräftig genug, um diese durchtobten Nächte aushalten zu können; atemlos, schweißgebadet und erschöpft blieben sie aneinandergepreßt liegen, rauchten Zigaretten, tranken ein paar Schlucke Rotwein. Irgendwann schliefen sie dann ein, erwachten von den Stimmen des Hauses und dem fahlen Morgenlicht, das sich seinen Weg bis in die Häuserschluchten grub und die Reste des Abendessens, die Zigarettenkippen, die Gläser beleuchtete. Felicia schlug meist als erste die Augen auf. Sie liebte es, Maksim im Schlaf zu beobachten, denn er lag
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