Sturmzeit
nachhinein Ausgangspunkt für alle weiteren Verwicklungen - für jene inneren Gefechte, die sich zwischen ihrer Güte und ihrer Selbstliebe, ihrer Sanftheit und ihrer Kaltschnäuzigkeit, ihrer Sehnsucht nach Wärme und der nach Geld abspielten. Zum Teufel, ich will jetzt nicht an ihn denken, dachte sie gereizt, und überhaupt ist das alles Unsinn. Ich sitze hier und drehe noch durch!
Nach kurzem Überlegen beschloß sie, Martin und Sara zu besuchen. Die beiden waren die letzten Freunde, die ihr geblieben waren - und auf einmal hatte sie eine überwältigende Sehnsucht nach Sara, danach, von ihr in die Arme genommen zu werden und ihr alles zu erzählen. Sie betrachtete sich im Spiegel. Sie war blaß, ihre Haare strähnig, nur flüchtig gekämmt. Sie band sie zurück, legte ein wenig Rouge und Lippenstift auf und schlüpfte in ihren schwarzen Pelzmantel aus besseren Tagen. Als sie aus der Haustür trat, wehte ihr der Wind Schneeflocken ins Gesicht, und unter ihren Füßen knirschte das Eis.
Jolanta war es, als treffe sie der Schlag. Alex Lombard, der verlorengeglaubte Alex war zurückgekehrt. Er stand vor der Haustür, älter geworden, aber unverkennbar der Sohn des Hauses.
»Ja, du lieber Gott, das kann ja wohl nicht wahr sein! Das gibt es doch gar nicht! Herr Lombard... der junge Herr Lombard ist wieder da!«
»Darf ich hereinkommen?«
»Oh, bitte, natürlich!« Jolanta trat zur Seite. »Sie müssen entschuldigen, ich bin völlig durcheinander. Nein, ist das eine Weihnachtsüberraschung! Damit hat man doch nicht gerechnet!
Nach mehr als zehn Jahren!«
Fanny, das Hausmädchen, stürzte herbei und schrie leise auf.
»Nein! Das ist doch...«
Alex hob beschwichtigend die Hände. »Jetzt fallt bloß nicht alle in Ohnmacht! Wißt ihr, ich saß da drüben in New York und führte ein gutes Leben, und auf einmal dachte ich, es könnte nett sein, die Prinzregentenstraße in München wiederzusehen. Und, voilà! Hier bin ich!« Mit Schwung hängte er seinen Mantel auf den Haken.
»Und nun«, fuhr Alex fort, und nur ein aufmerksamer Beobachter hätte die leise Gespanntheit auf seinem Gesicht bemerkt, »nun würde ich gern die Familie sehen. Alle meine Lieben, die ich einst schmählich verlassen habe!«
»Ach...«, Jolanta und Fanny warfen einander bekümmerte Blicke zu, »es ist keiner da!«
»Was heißt das? Irgend jemand wird doch da sein?«
»Nein. Es ist ja schon so einsam hier, seit vielen Jahren. Wir sind immer gut bezahlt worden von Frau Lavergne, das mußman wirklich sagen, aber wofür, das wußte ich nie genau, denn nachdem noch Fräulein Sara ausgezogen war...«
»Moment«, unterbrach Alex, »wer ist Frau Lavergne?«
»Nun...« Fanny zögerte. Jolanta raffte sich auf. »Ihre... Ihre geschiedene Frau. Sie hat wieder...«
»Ach!«
»Ja, aber ihr neuer Mann hat sich das Leben genommen, vor zwei Jahren. Erschossen hat er sich, stellen Sie sich das vor!«
Ein boshaftes Lächeln verzog Alex' Lippen. »Arme Felicia«, sagte er hintergründig, »sie hat Pech mit den Männern...«
»Ach, sie ist aber auch...« Jolanta brach ab. Es war wohl nichts Freundliches, was sie hatte sagen wollen, dachte Alex.
»Es ist so viel geschehen«, fuhr sie hastig fort, »und nichts davon wissen Sie, weil man Sie ja nicht erreichen konnte. Ihr gnädiger Herr Vater ist gestorben. Kurz nach Kriegsende schon. Und Fräulein Kassandra...« nun brach Jolantas Stimme. Alex packte ihr Handgelenk, seine Augen glitzerten angstvoll.
»Was ist mit Kat?«
»Unglücklich ist sie, das arme Ding. Den Herrn Wolff hat sie geheiratet, und das hat Frau Lavergne auf dem Gewissen!«Jolanta konnte sich nun doch nicht zurückhalten.
»Sie hat ihr eingeredet, der Herr Major Rath ist in Frankreich gefallen und außer Wolff bleibt ihr niemand, aber stellen Sie sich vor, bald nach der Hochzeit ist der Herr Major hier erschienen und hat nach Fräulein Kat gefragt. Sein Gesicht, als ich ihm die Wahrheit sagte!« Nun war ein gewisses wohliges Schaudern in Jolantas Stimme. »Dem Wolff sein Geld hat sie gewollt, die Frau Lavergne. Oder die Fabrikanteile, oder was auch immer. Fräulein Kassandra hat seitdem kein Wort mehr mit ihr gesprochen. Und nun ist doch alles aus, denn Wolff und Frau Lavergne haben alles verloren. Ich verstehe ja nichts davon, aber es hängt mit dem Börsenkrach zusammen, von dem man in allen Zeitungen liest. Jawohl, alles verloren. Arm wie Kirchenmäuse sind die jetzt!«
»Ich nehme an, Felicia... Frau Lavergne ist daheim in
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