Sturmzeit
kam!« Er löste sich von Kat, die er die ganze Zeit über hilfesuchend umklammert hatte, und stand auf.
»Wenn du willst, Kat... ich biete dir die Scheidung an. Ich wollte dich zu einer Königin machen, aber der Traum ist aus, und was jetzt kommt, kann ich dir nicht zumuten. Ich lege dir keine Steine in den Weg. Du...«, er machte eine ironische Handbewegung zur Tür hin, »du bist frei!«
Kat blieb unbeweglich sitzen. Wolffs Gesicht zeigte für Sekunden einen Anflug seiner früheren Überheblichkeit. »Was ist? Der Sessel, auf dem du sitzt, gehört gewissermaßen schon der Bank! Geh in das Haus deines Vaters zurück, sonst landest du doch noch auf meinem verlassenen Bauernhof!«
»Ich bleibe«, sagte Kat.
»Wie bitte?«
»Ich bleibe. Wir sind verheiratet, wir gehören zusammen, also bleibe ich.«
»Was ist mit... Phillip Rath?«
»Das war früher. Es ist vorbei. Die Dinge geschehen, wir können sie nicht ändern, und wir können nicht zurückholen, was vorüber ist. Phillip gehört für mich einer anderen Zeit an, ebenso wie Andreas. Es sollte nicht sein, von Anfang an. Ich glaube, es wäre eine Enttäuschung, wenn ich versuchen würde, meine eigene Vergangenheit wiederzufinden und lebendig werden zu lassen.«
Tom Wolff betrachtete ihren erhobenen Kopf, den schmalen Mund mit den klar geschnittenen Lippen. In der Tat, sie war nicht mehr wie früher. Kummer, Erfahrungen, Alkohol hatten ihr ihre Lieblichkeit genommen und ihr Gesicht härter werden lassen.
»Ich will kein Mitleid«, sagte er ungeduldig und begriff im gleichen Augenblick, daß Mitleid das letzte wäre, was er je von ihr bekommen würde. Sie stand ebenfalls auf.
»Ich bemitleide dich nicht«, sagte sie mit jenem leisen Anflug von Spott in der Stimme, der sich erst seit wenigen Wochen bei ihr eingeschlichen hatte, »ich liebe dich auch nicht. Aber ich glaube noch immer an dich.«
5
Am ersten Weihnachtsfeiertag hielt es Felicia in dem großen, leeren Haus nicht mehr aus. Den Heiligen Abend hatte sie überstanden, indem sie, gleich nachdem Wolff verschwunden war, ins Bett ging, ein Schlafmittel nahm und sofort einschlief. Am Morgen hatte Jolanta sie mit einem festlichen Frühstückstablett geweckt, auf das sie einen StraußTannenzweige und eine Kerze gestellt hatte.
Felicia setzte sich, noch benebelt von der Tablette, im Bett auf und preßte die Hände gegen den schmerzenden Kopf. »Oh, danke schön, Jolanta. Wie spät ist es?«
»Halb neun. Wenn es recht ist, mache ich mich jetzt auf den Weg in die Kirche.«
»Natürlich. Gehen Sie nur.«
Jolanta blieb in der Tür stehen. »Falls Sie auch mitkommen möchten...«
Felicia schüttelte den Kopf. »Nein. Dieses Jahr ist mir wirklich nicht danach.«
Sie trank ein wenig Kaffee und probierte ein Stück von Jolantas Weihnachtsstollen, dann stand sie auf und zog sich an. Sie wollte sich an den Schreibtisch setzen, aber die Papiere, die dort lagen, war sie schon hundertmal durchgegangen, es lohnte sich nicht, noch einmal damit anzufangen. Einsam, unstet streifte sie durch das Haus. Alle Dienstboten waren in die Kirche gegangen.
Vor den Fenstern fiel Schnee, dichte, graue Wolken lagen tief über der Stadt. Von der Bibliothek aus konnte sie zum Nachbarhaus hinübersehen. Dort hatten sie im Wohnzimmer die Kerzen des Tannenbaumes angezündet, sie sah den Lichterschein hinter den Gardinen. Fröstelnd zog sie den Schal,den sie um die Schulter trug, fester. Ich sollte auf Lulinn sein, dachte sie, bei meinen Kindern.
Aber sie hatte es nicht fertiggebracht, dort zu bleiben. Sie war vor den betroffenen Gesichtern ihrer Familie geflohen, vor den unausgesprochenen Vorwürfen, vor allem aber vor dem Gefühl, im wahrsten Sinne des Wortes den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Auf Lulinn sitzen und warten, daß die Zeit ablief - nein, das konnte sie nicht. Irgend etwas, sie wußte nicht, was es war, hielt sie in München. Etwas hinderte sie, sich in die ostpreußische Einsamkeit zurückzuziehen und ihre Wunden zu lecken. Eine beharrliche innere Stimme sagte ihr, sie dürfe den Kampf noch nicht aufgeben. Aber warum dieses Haus? Es erschlug sie, seine Stille erstickte sie. Sie hatte sich hier nie heimisch gefühlt, seit jenen Tagen, da sie mit Alex zum ersten Mal hierhergekommen war. Alex... Sie blieb stehen. Im Grunde war es nicht das Haus. Es war Alex, der hier ihre Sinne beherrschte. Alex, das ewig widersprüchliche Element in ihrem Leben.
Die Haßliebe, in die er sie gestürzt hatte, schien ihr im
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