Sturz der Marionetten: SF-Thriller
eigener Kopf nur Ordnung schaffen wollte, wo keine Ordnung war.
Manchmal, wenn sie erwachte, sah sie Tanzpilger sich winden, während geheimnisvolle Maschinen über ihnen durch die Luft schwebten; manchmal sah sie zusammengekauerte Leute weinen, erfüllt von einem Schrecken, der so entsetzlich gewesen sein mochte wie der, den sie selbst erlebt hatte. Mehr als einmal sah sie einen voll ausgewachsenen Vlhani durch die unterirdische Kammer streifen, die Peitschen dicht am Kopf zusammengerollt, um in einen Raum zu passen, der es ihm nicht gestattet hätte, seine Glieder voll auszufahren. Einer, aber das musste ein Traum gewesen sein, trug einen menschlichen Kopf, weiblich, blass, umrahmt von lockigem roten Haar, von seinem Körper getrennt und doch voll und ganz bei Sinnen, und die Lippen des Kopfes bewegten sich, ohne einen Laut hervorzubringen.
Dann verzog sich der Nebel, und sie schlug die Augen auf. Der Schmerz war zu einem wilden Brennen an den Wundrändern geworden, und das Erste, was sie in dem fahlen Licht sah, war ein eiförmiger KIquellen-Medbot, der nach wie vor über ihr schwebte. Seine schwarze Oberfläche erinnerte sie auf nervenaufreibende Weise an das Chitin der Vlhani. Dann erkannte sie, dass sie nackt war. Die zwei Kleiderstreifen hatte man ihr abgenommen, entweder, weil sie bei den Eingriffen im Weg gewesen waren, oder um sie zu waschen. Sie fragte sich träge, ob sie sie je zurückbekäme. Nicht, dass ihr das wirklich wichtig gewesen wäre. Selbst wenn sie keine größeren Sorgen gehabt hätte - die Porrinyards hatten von jeher auf Anstand und Sitte geschissen.
Es dauerte eine Weile, bis sie merkte, dass Botschafter Hurrr'poth neben ihrer Plattform kniete, den Kopf gesenkt, als wollte er Abbitte leisten oder seine Trauer bekunden. Doch in Anbetracht der Ausdruckslosigkeit riirgaanischer Gesichter war es ihr unmöglich, herauszufinden, was er empfand, bis er das Wort ergriff.
»Es tut mir leid.«
Nun waren seine Trauer und seine Scham so greifbar, dass es war, als hätte man ihr das Herz aus der Brust gerissen. »Oh, nein ... Oscin? Andrea?«
Seine Hand fühlte sich trocken an, beinahe wie Pergament, als sie sich auf ihren Unterarm legte. »Nein, nein, nein, ich wollte Ihnen kein Beileid aussprechen. Ich habe keinen Grund zu der Befürchtung, ihnen könnte irgendetwas zugestoßen sein. Eigentlich hatte ich gehofft, wenn Sie wieder wach sind, könnten Sie mir sagen, wo sie sind.«
Skye schloss die Augen in dem verzweifelten Wunsch, irgendetwas von Oscin zu spüren, doch sie empfing nur etwas wie statisches Rauschen: flüchtige Eindrücke von Kälte und Dunkelheit, begleitet von scharrenden Lauten. Das war keine Hilfe. »Meine Verbindung zu meiner anderen Hälfte scheint ... unterbrochen zu sein.«
»Ist es möglich, dass er nur schläft?«
»Dann könnte ich ihn wecken. Es ist mehr, als ... als wäre nur ein Teil unserer Verbindung ... funktionsfähig.« Der Gedanke regte sie maßlos auf. Sie konnte verstehen, dass ihr eigener Stoffwechsel beinahe bis auf Null heruntergefahren worden war, als ihre Verletzungen es erforderlich gemacht hatten, aber nun ging es ihr besser, nun war sie wieder in der Lage, ihre Hälfte der Vereinigung zu steuern. Wenn sie Oscin jetzt nicht spüren konnte, dann musste das Problem auf seiner Seite liegen, nicht auf ihrer. »Wie lange bin ich schon hier?«
Hurrr'poth rieb sich den Schädel, seine geschuppte Handfläche fuhr mit einem leisen Scharren über den ebenfalls geschuppten Kopf. »Zwei Tage. Leider muss ich Ihnen gestehen, dass es uns seit beinahe drei nicht gelungen ist, herauszufinden, wo der Counselor ist ...«
»Drei?«
»Ich versichere Ihnen, wir setzen alle verfügbaren Kräfte für die Suche ein, und nicht nur, weil eine der unseren bei ihr ist. Aber ich fürchte, die Definition von ›verfügbar‹ umfasst nur sehr wenige.« Er zögerte kurz. »Wir hatten gehofft, Sie könnten uns weitere Informationen liefern. Was ist Ihnen aus der Perspektive Ihrer anderen Hälfte noch in Erinnerung?«
Skye ging die Bruchstücke der Erinnerung durch, von denen manche beängstigend waren, aber seit der Abschaltung hatte sie nicht viel Nützliches erfahren. »Roykos Heim. Die Menschenzähne.«
Der Riirgaaner senkte das Haupt und starrte irgendeinen undefinierbaren Punkt am Boden an. »Das hatte ich befürchtet. Das ist auch das Letzte, was wir wissen.«
Er drückte ihren Oberarm, eine Geste der Hoffnung und des Trosts, die doch weder das eine noch das andere
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