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Sturz der Tage in die Nacht

Sturz der Tage in die Nacht

Titel: Sturz der Tage in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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Vielleicht werde ich eine Gegendarstellung formulieren. Vielleicht schaffe ich es, von diesen Augenblicken zu erzählen, so, wie sie für mich geschehen sind. Mir soll niemand ins Gesicht sagen können, dass es eine falsche Entscheidung gewesen sei, meine Entscheidung für Inez.
    Aber ins Gesicht sagen sie einem sowieso nichts.
    Es wird nur dieses Schweigen geben, das die Leute parat haben für Geschehnisse, die sie nicht einordnen können. Selbst meine Kumpel werden die Klappe halten. Sie werden sich hinter ihren Globetrotterfotos verschanzen, weil ihnen diese Art der Exotik zu dicht auf die Pelle rückt und den Ernst ihres Lebens aus der Verankerung zu reißen droht. Wenn wir uns treffen, werden sie mich abklatschen, hysterischer als ihre Frauen, und mir erklären, was für ein seltsamer Vogel ich bin,
drei Monate auf ’ner zugekackten Insel?,
und beim Bowlen oder Barbecue, was immer seltener vorkommen wird, werden sie erwarten, dass ich dieser Rolle auch entspreche.
    Nur Felix Ton dürfte ein bisschen was kapieren. Ihm müsste klar sein, dass bei Blutsverhältnissen nichts auszurichten ist. Er hat seine Alten, die er nicht loswird, seine Alten im Sumpf. Das wird die einzige Gemeinsamkeit bleiben zwischen diesem Mann, der mein Vater sein soll, und mir. Seine Kampagne werde ich nicht unterstützen. Aber vielleicht fahre ich nach Potsdam, um ihn mir beim Wahlkampf anzusehen. Er wird es nicht leicht haben. Bis zur Wahl sind es noch sieben Tage. Die Journalisten werden sie nutzen, um ihre Klatschblätter zu füllen. Sie waren nicht zimperlich, als sie in unsere Hütte eindrangen. Man hatte sie instruiert,
indoktriniert
, hätte Feldberg wahrscheinlich gesagt,
einseitige Informationsbeschaffung.
Informationen, für die er die einzige Quelle war.
    Wir waren in Trance, Inez und ich. Seit ich in jener Nacht vor zwei Wochen frierend und durchnässt zu ihr zurückgekommen war, hatten wir nicht mehr über meine Abreise gesprochen. Wir hatten nicht über Trennung gesprochen. Mit der Nacht auf der Klippe hatte das, was von dieser Geschichte uns gehört, in Wahrheit begonnen. Inez spürte das. Ich spürte das. Vielleicht hatten wir es schon verstanden, als ich neben sie auf das Sofa gekommen war. Wir waren berauscht. Wir waren so weltvergessen, dass ich das Auftauchen der Journalisten, die eines Morgens in der Hütte standen, anfänglich noch komisch fand.
    Die Hüttentür hatte nicht offen gestanden. Sie war auch nicht abgeschlossen gewesen. Inez schloss selten ab. In der Zeit, als Guido so uncool geworden war, hatte sie nachts manchmal die Hütte von innen verriegelt, und wenn sie nach Visby fuhr, benutzte sie das Sicherheitsschloss. Aber die Plötzlichkeit, mit der auf einmal Fremde im Zimmer gewesen waren, hatte mich denken lassen, die Tür habe sperrangelweit offen gestanden.
    Wir lagen im Bett.
    Wir hörten Stimmen.
    Es blieb keine Zeit mehr, sich anzuziehen. Jemand riss die Tür zum Schlafzimmer auf. Inez lag auf der Seite, mit dem Rücken zum Eingang. Sie war unbedeckt. So blieb sie, während ich das Klicken eines Auslösers hörte und versuchte, die Decken vom Boden zu angeln. Ich hatte keine Ahnung, welche Tageszeit es war. Es fühlte sich an wie morgens, aber es konnte nicht morgens sein, weil der blasse Schatten des Ginsters an der Schlafzimmerwand schon zu weit nach unten gewandert war. Später erfuhr ich, dass das Boot gegen zwölf am Steg festgemacht hatte. Es war ein Fischerboot, gechartert im alten Fischereihafen von Klintehamn, weil die Fähre an diesem Tag nicht fuhr. Es hatte Kurs auf Norderhamn genommen. Als die Praktikantin die kleine Gruppe mit einer Kameraausrüstung aussteigen sah, war sie davon ausgegangen, dass sie angemeldet sein musste. Statt Inez auf dem Handy herbeizurufen, hatte sie den Leuten den Weg zu ihrer Hütte gezeigt.
    Ich sprang auf, griff nach einem Kissen, hielt es mir vor den Körper, sprang wie ein Frosch zur Schlafzimmertür und knallte sie zu.
    »Scheiße, was wollen die denn hier?« Ich musste lachen. »Hast du die Paparazzi nicht abgehängt?«
    Inez drehte sich auf den Rücken, legte die Hände aufs Gesicht und sagte kein Wort.
    »Scheiße.« Ich fuhr in die Jeans und warf mein Shirt über. Inez rollte herum und griff nach meinem Arm. Sie wollte mich zurückhalten, aber ich war schon draußen. Beim Verlassen des Schlafzimmers dachte ich, es müsse sich um Aufnahmen für eine Natursendung handeln, Journalisten, die das Pflanzen- und Tierleben auf Stora Karlsö im Herbst

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