Sturz der Tage in die Nacht
schimmerndes, weiches Rot. Sie setzte sich neben mich. Sie legte mir ihre Hand in den Nacken und schob sie mit Druck auf den Fingerspitzen meinen Hinterkopf hoch.
Nach einer Weile fragte sie, ob ich einen Espresso wolle, und ich wollte einen, und wir gingen in ihre Hütte zurück, und als wir den Espresso getrunken hatten, zog ich sie aus. Ich machte das langsam und mit einem klaren Kopf. Ich legte ihre Arme frei, die Brüste, ihr schönes Gesicht, sie sah mir dabei zu, und ich dachte an Schwämme in Feuersteinen,
Plinthosella squamosa
, wie Inez gesagt hatte; klappert, bleibt aber unsichtbar. Das war es, was mir passierte. Was mich veränderte in dieser Zeit mit ihr. In dieser Zeit auf der Insel.
Es war hell im Raum, und sie küsste mich, und das ist der Augenblick, in dem es begann.
Das Meer
Es beginnt mit dem Jungen, der den Strand überquert.
Er könnte vom Meer aus gekommen sein. Oder er kam über den schmalen Weg, der zwischen den Felsen zum Strand hinunterführt. Der Junge weiß nichts von ihr. Von sich selbst weiß er wenig. Er trödelt. Er bückt sich. Er findet einen Stein. Er untersucht ihn, hält ihn sich ans Ohr.
Er ist vielleicht fünf.
»Wo warst du?«
»Rumlaufen.«
»Ich bin froh, dass du wieder da bist.«
»Darf ich reinkommen?«
»Pass auf. Da sind Scherben.«
»Hast du gehofft, ich würde nicht wiederkommen?«
»Hattest du keine Angst, wiederzukommen?«
»Nein. Hast du Angst?«
»Jetzt nicht mehr.«
»Kann ich hierbleiben über Nacht?«
»Es ist bald Morgen, Erik.«
»Man sieht’s gar nicht.«
»Was?«
»Wegen dieser Helligkeit, meine ich. Man sieht nicht, ob es Morgen ist oder noch Nacht.«
Der Stein, den der Junge findet, hat ein Loch. Dort ist vor Millionen Jahren Meerwasser eingedrungen. Das Wasser hat die Steinwand an einer Stelle durchbrochen und das Innere ausgewaschen. Der Junge legt seinen Zeigefinger auf die Stelle. Er weiß nicht, dass dort, wo jetzt sein Zeigefinger liegt, einmal der Stiel eines Kieselschwamms aus der Flintschale ragte und dem Wasser einen Angriffspunkt bot. Das Wasser hat den Stiel zersetzt. Beim Eindringen in den Stein wurden die Kreidereste ausgespült. Der Schwamm, der lose im Gehäuse lag, versteinerte.
Das ist es, was der Junge hört. Ein feines Klappern.
»Ich hatte Angst, dich nie wiederzusehen.«
»Da bin ich.«
»Ich hatte solche Angst. Erik?«
»Ja.«
»Es ist zu dunkel.«
»Was meinst du?«
»Man sieht es uns nicht an.«
»Was soll man denn sehen?«
»Nichts, Erik.«
»Ich werde nicht auf die Fähre gehen.«
»Du bleibst?«
»Ich fahre nicht zurück.«
Der Junge steht mit seinem Stein am Strand.
»Du hast mir nie gesagt, woher die Küken eigentlich wissen, zu wem sie gehören, wenn sie aus dem Nest gefallen sind.«
»Sie erkennen sich an der Stimme. Schon beim Brüten wiederholen die Altvögel einen bestimmten Laut. Das Junge in der Schale prägt sich diesen Laut ein. Wenn es schlüpft, imitiert es diesen Laut. Daran erkennen es die Eltern später eindeutig wieder.«
»Wie viel später?«
»Wenn sie sich auf dem Durcheinander auf dem Wasser suchen.«
»Und nach ein paar Jahren? Würden sie sich dann auch wiedererkennen?«
»Unwahrscheinlich.«
»Das hört irgendwann auf?«
»Es hört auf.«
»Als ich da oben stand, ging es immer weiter.«
»Du bist bei dem Wetter auf den Felsen gewesen?«
»Ja.«
»Du warst auf den Klippen?«
»Da oben hatte ich das Gefühl, reich zu sein.«
»Was meinst du damit, Erik?«
»Ich weiß nicht. Es war so ein Gefühl.«
Der Junge spielt am Strand. Er hockt sich hin und sucht nach einem Stein, der noch schöner ist, er sucht den Schönsten von allen. Es ist Mittag, als sie ihn sieht. Sie läuft zu ihm und nimmt seine Hand. Sie hält ihn fest, damit er nicht zu nah ans Wasser gerät und ertrinkt. Sie fragt ihn, ob er mitkommen möchte mit ihr. Zusammen gehen sie zur Hütte, der Junge und die Frau, deren Träger weiß unter dem Shirt hervorleuchten.
»Dein Haar ist noch genauso weich.«
»Es gefällt dir?«
»Es ist dunkler. Nicht blond.«
»Es gefällt dir, wenn es dunkler ist?«
»Es könnte sein, dass ich dich sonst verwechsle.«
»Du kennst mich doch.«
»Das spielt keine Rolle.«
»Mit wem solltest du mich verwechseln?«
»Mit einem Fünfjährigen, der zwischen den Felsen verschwindet. Ich muss ihn retten. Aber meine Füße versinken im Sand.«
»Hat er einen Namen?«
»Nein.«
»Hast du dich je gefragt, ob er einen Namen hat?«
»Es ist ein Traumkind.«
»Du
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