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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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kämpfen müssen.
    Hier gab es kaum noch Vegetation. Nach anderthalb Jahren Krieg waren nur noch wenige Flecken Gras und vereinzelte Büsche in einer Öde aus Schlamm und Granattrichtern übrig. Hier und da ragte gespenstisch ein kleiner Baum empor. Das machte alles noch schlimmer, weil es keine Deckung gab. Es war eine mondlose Nacht, doch die Landschaft wurde hin und wieder vom Blitz einer Detonation oder vom grellen unerbittlichen Licht einer Leuchtkugel erhellt. Immer dann konnte Walter sich nur flach auf den Boden werfen und regungslos liegen bleiben. Wenn er dabei zufällig in einem Trichter lag, hatte er Glück gehabt. Andernfalls blieb ihm nur die Hoffnung, dass niemand in seine Richtung blickte.
    Im Boden lagen zahlreiche englische Blindgänger. Nach Walters Schätzung zündete ein gutes Drittel der englischen Munition nicht. Er wusste, dass die Munitionsversorgung in den Händen Lloyd Georges lag; vermutlich räumte dieser Demagoge der Produktionszahl einen höheren Stellenwert ein als der Qualität. In Deutschland würde man einen solchen Fehler nicht begehen.
    Als Walter den englischen Stacheldraht erreichte, kroch er seitwärts daran entlang, bis er eine Lücke fand. Dann schob er sich hindurch.
    Schließlich sah er die englische Linie als schmierigen schwarzen Pinselstrich vor einem dunkelgrauen Himmel. Er legte sich auf den Bauch und versuchte, geräuschlos weiterzurobben. Er musste so nahe an die Linie wie möglich, denn er wollte hören, was die Männer in den Gräben redeten.
    Beide Seiten schickten nachts Spähtrupps ins Niemandsland. Walter wählte dafür normalerweise ein paar Soldaten aus, die sich ausreichend langweilten, um sich auf ein – wenn auch gefährliches – Abenteuer einzulassen. Manchmal ging er selbst, teils um zu zeigen, dass er bereit war, das eigene Leben zu riskieren, teils weil seine eigenen Beobachtungen in der Regel genauer waren.
    Er lauschte, ob er ein Husten oder Stimmengemurmel hören konnte, oder auch nur einen Darmwind, gefolgt von einem erleichterten Seufzer. Doch vor ihm schien ein vollkommen stiller Abschnitt zu liegen. Er wandte sich nach links, robbte fünfzig Meter und hielt inne. Diesmal vernahm er ein ihm unbekanntes Geräusch, das wie entferntes Motorbrummen klang.
    Walter robbte weiter, wobei er darauf achtete, die Orientierung zu behalten. In der Dunkelheit verlor man leicht den Richtungssinn. Eines Nachts, nach langem Robben, war er an eine Stelle am Stacheldraht gelangt, die er eine halbe Stunde zuvor passiert hatte: Er war im Kreis gekrochen.
    Plötzlich hörte er eine Stimme auf Englisch sagen: »Hier drüben.« Er erstarrte. Abgeblendetes Taschenlampenlicht tanzte in sein Sichtfeld wie ein Glühwürmchen. In dem schwachen Schein konnte er drei Soldaten mit englischen Tellerhelmen ausmachen, dreißig Meter entfernt. Er wollte sich schon von ihnen wegrollen, sagte sich aber, dass die Bewegung ihn verraten hätte. Er zog die Pistole: Wenn er schon hier sterben sollte, nahm er wenigstens ein paar Engländer mit in den Tod. Der Sicherungshebel befand sich links über dem Griff. Mit dem Daumen schob er ihn hoch und nach vorn. Das Geräusch kam Walter so laut wie ein Donnerschlag vor, aber die Engländer schienen es nicht zu hören.
    Zwei von ihnen trugen eine Rolle Stacheldraht. Walter vermutete, dass sie eine Stelle ausbesserten, die am Tag von der deutschen Artillerie zerfetzt worden war. Vielleicht sollte ich sie erschießen, überlegte er – eins, zwo, drei –, denn morgen versuchen die Kerle, mich umzubringen. Doch er hatte Wichtigeres zu tun; deshalb feuerte er nicht, als die Männer ihn passierten und in der Finsternis verschwanden.
    Walter sicherte die P08 wieder, schob sie in die Pistolentasche am Koppel und kroch näher zum englischen Graben.
    Die Geräusche wurden lauter. Walter blieb still liegen, lauschte und erkannte, dass es die Laute vieler Menschen waren. Das Geräusch setzte sich aus Füßescharren, Kleiderrascheln, Schnaufen, Gähnen und Rülpsen zusammen, in das sich ein gelegentliches, leises, in autoritärem Tonfall gesprochenes Wort mischte.
    Walter erschrak. Es mussten Hunderte Männer sein, die er da hörte. In letzter Zeit hatten die Engländer breitere Gräben ausgehoben, als sollten große Mengen Nachschub darin gelagert werden oder als sollten die Gräben als Unterstände für schwere Geschütze dienen. Nun aber hatte es den Anschein, als wären die Gräben dazu gedacht, riesige Menschenmengen aufzunehmen.
    Walter musste

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