Sturz der Titanen
Kommando zu führen. »Männer«, sagte er mit ersticktem Oberschichtenakzent, »es ist mir eine Ehre, Ihr Zugführer zu sein, und ich weiß, dass Sie in der bevorstehenden Schlacht tapfer wie Löwen kämpfen werden.«
»Dämliche Warze«, brummte Mortimer.
Billy wusste, dass einfache Leutnants manchmal »Warzen« genannt wurden, allerdings nur von anderen Offizieren.
Carlton-Smith stellte sodann den Chef der B -Kompanie vor, Major the Earl Fitzherbert.
»Hol’s der Teufel!«, stieß Billy hervor. Offenen Mundes starrte er auf den Mann, den er mehr hasste als alles auf der Welt. Fitzherbert stellte sich auf einen Stuhl, um zur angetretenen Kompanie zu sprechen. Er trug eine maßgeschneiderte Khakiuniform mit den Kronen eines Majors an den Ärmelaufschlägen und hielt einen Gehstock aus Eschenholz in der Hand, wie einige Offiziere ihn bei sich führten. Er sprach mit dem gleichen Akzent wie Carlton-Smith und gab ähnliche Plattitüden von sich. Billy konnte sein Pech kaum fassen. Was machte Fitz denn hier? Französische Dienstmädchen schwängern? Es war ein unerträglicher Gedanke, dass dieser hoffnungslose Taugenichts sein Kompaniechef sein sollte.
Als die Offiziere gegangen waren, sprach Prophet leise mit Billy und Mortimer. »Lieutenant Carlton-Smith ist noch vor einem Jahr in Eton gewesen«, sagte er. Eton war eine Nobelschule; auch Fitz hatte sie besucht.
»Und warum ist er jetzt Offizier?«, fragte Billy.
»In Eton war er Popper, Vertrauensschüler.«
»Na toll«, sagte Billy. »Dann sind wir ja sicher wie in Abrahams Schoß.«
»Er weiß nicht viel vom Krieg, hat aber genug Verstand, sich nicht in alles einzumischen. Also sind wir aus dem Schneider, solange wir ihn im Auge behalten. Wenn er irgendwas Dämliches tun will, sagt mir Bescheid.« Er blickte Mortimer ruhig an. »Du weißt ja, wie das ist, nicht wahr?«
Mortimer nickte verbissen.
»Ich zähl auf dich.«
Ein paar Minuten später wurde »Licht aus« befohlen. Pritschen gab es nicht, nur Strohsäcke, die in Reihen auf dem Boden lagen. Billy lag wach und dachte voller Bewunderung daran, wie Elijah Jones, der Prophet, mit Mortimer umgegangen war: Er machte einen schwierigen Untergebenen unschädlich, indem er ihn auf seine Seite zog. Ähnlich hätte auch Dah einen Unruhestifter behandelt.
Billy war nicht müde, und draußen war es noch hell; trotzdem schlief er sofort ein, wurde dann aber von entsetzlichem Lärm aus dem Schlaf gerissen. Es hörte sich an, als würde ein Unwetter direkt über ihnen toben. Aber durch die regenstreifigen Fenster war kein Flackern von Blitzen zu sehen. Es war kein Unwetter.
»Herr im Himmel, was war das denn?«, fragte Tommy erschrocken.
Mortimer steckte sich eine Zigarette an. »Geschützfeuer«, sagte er. »Unsere eigene Artillerie. Willkommen in Frankreich, Taffy.«
Billy hörte gar nicht hin. Er beobachtete Owen Bevin im Bett gegenüber. Owen saß aufrecht, einen Zipfel seiner Decke im Mund, und weinte.
Maud träumte, dass Lloyd George ihr unter den Rock griff, worauf sie ihm eröffnete, sie sei mit einem Deutschen verheiratet, was zur Folge hatte, dass Lloyd George die Polizei rief, die nun erschien, um Maud zu verhaften, und die sich Zugang ins Haus verschaffen wollte, indem sie gegen das Schlafzimmerfenster hämmerte.
Bestürzt setzte Maud sich auf. Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, wie verrückt der Gedanke war, dass die Polizei, selbst wenn sie jemanden verhaften wollte, gegen das Fenster eines im ersten Stock gelegenen Schlafzimmers klopfte. Der Traum verblasste, der Lärm aber blieb. Außerdem war ein tiefes Rumpeln zu vernehmen wie von einem Zug, der in der Ferne vorbeifuhr.
Maud knipste die Nachttischlampe ein. Die silberne Jugendstiluhr auf dem Kaminsims verriet ihr, dass es vier Uhr morgens war. Hatte es ein Erdbeben gegeben? Eine Explosion in einer Munitionsfabrik? Ein Zugunglück?
Sie warf die bestickte Bettdecke zurück, stand auf, zog die schweren, grün und marineblau gestreiften Vorhänge beiseite und blickte aus dem Fenster auf die Straße. Im ersten Morgenlicht sah sie eine junge Frau in einem roten Kleid, wahrscheinlich eine Prostituierte auf dem Nachhauseweg, die besorgt mit dem Milchmann sprach, der auf dem Bock seines einspännigen Wagens saß. Sonst war niemand zu sehen. Mauds Fenster jedoch klapperte weiter, ohne dass es einen sichtbaren Grund dafür gegeben hätte. Kein Lüftchen rührte sich.
Sie zog einen Morgenmantel aus geflammter Seide über ihr Nachthemd und
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