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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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darauf verbreitete sich an der Linie die Nachricht: Morgen greifen wir an.

Kapitel 17
    1. Juli 1916
    Walter von Ulrich war in der Hölle.
    Sieben Tage und Nächte hatten sie unter britischem Trommelfeuer gelegen. In den deutschen Gräben sahen die Männer zehn Jahre älter aus als noch vor einer Woche. Sie kauerten sich in ihre Unterstände, von Menschenhand geschaffene Höhlen hinter den Gräben, aber der Lärm war auch dort noch ohrenbetäubend, und ständig bebte der Boden unter ihren Füßen. Am schrecklichsten aber war, dass ein Volltreffer durch einen »schweren Koffer«, eine Granate vom größten Kaliber, auch den stärksten Unterstand zerstören konnte.
    Wann immer der Beschuss endete, kletterten die Männer hinaus in die Schützengräben, bereit, den Großangriff zurückzuschlagen, mit dem jeder rechnete. Sobald sie sich vergewissert hatten, dass die Engländer nicht vorrückten, inspizierten sie die Schäden und entdeckten zerstörte Schützengräben, von der Erde verschüttete Eingänge zu Unterständen und – an einem traurigen Nachmittag – eine zerschmetterte Feldküche voll zerbrochenem Geschirr, tropfenden Marmeladendosen und Schmierseife. Müde schaufelten sie die Erde weg, flickten die Schützenauftritte mit neuen Planken und forderten Nachschub an.
    Aber der Nachschub kam nicht. Nur wenig Material erreichte die vorderste Linie, denn feindliches Trommelfeuer machte jede Bewegung zu einem Himmelfahrtskommando. Die Männer hungerten und dürsteten. Walter hatte schon mehr als einmal schmutziges Regenwasser aus Granattrichtern getrunken.
    Zwischen den Feuerüberfällen konnten die Männer nicht in den Unterständen bleiben. Sie mussten in die Schützengräben und die Engländer erwarten. Posten hielten ständig Wache. Die anderen saßen in den Eingängen der Unterstände, bereit, entweder die Treppe hinunterzurennen und unter der Erde Deckung zu suchen, sobald das Trommelfeuer wieder einsetzte, oder zu den Schulterwehren zu eilen, um die Stellung zu verteidigen, sobald der Angriff begann. Die Maschinengewehre mussten jedes Mal nach unten getragen, dann wieder hinaufgeschleppt und in ihre Nester zurückgebracht werden.
    Wenn das Trommelfeuer ruhte, schossen die Briten mit Grabenmörsern, der englischen Variante der deutschen Minenwerfer. Obwohl die kleinen Bomben beim Abfeuern nur wenig Lärm machten, enthielten sie genug Sprengstoff, um die Knüppelverkleidung der Schützenauftritte splittern zu lassen. Aber die Werfergranaten kamen langsam und im hohen Bogen über das Niemandsland geflogen; man konnte sie kommen sehen und in Deckung gehen. Walter war von einer solchen Granate verfehlt worden, gerade weit genug, dass er unverletzt geblieben war, aber der Einschlag hatte Erde über sein Essen gespritzt und ihn gezwungen, einen Teller Erbsensuppe mit Einlage wegzuschütten. Die Suppe war die letzte warme Mahlzeit gewesen, die er bekommen hatte; inzwischen war sein Hunger so gewaltig, dass er sie mitsamt Schmutz und Erde heißhungrig hinuntergeschlungen hätte.
    Und die Granaten waren nicht alles. Der Abschnitt hatte einen Gasangriff hinter sich. Zwar waren die Männer mit Gasmasken ausgerüstet, aber die Grabensohle war nun übersät mit den Kadavern von Ratten, Mäusen und anderem Kleingetier, die am Chlor zugrunde gegangen waren. Und die Gewehrläufe hatten eine grünlich schwarze Färbung angenommen.
    Kurz nach Mitternacht in der siebten Nacht des Trommelfeuers ließ der Beschuss nach. Walter beschloss, allein auf Spähtrupp zu gehen.
    Er setzte eine Wollmütze auf und rieb sich zur Tarnung Erde ins Gesicht. Er nahm seine Pistole, eine P 08, wie sie an deutsche Offiziere und Unteroffiziere ausgegeben wurde, zog das Magazin aus dem Griff und überprüfte es. Es war voll geladen.
    Walter stieg eine Leiter hinauf und kletterte über die Schulterwehr – bei Tag ein todesverachtendes Unternehmen, in der Dunkelheit jedoch relativ ungefährlich. Geduckt eilte er die sanfte Steigung hinunter zum deutschen Stacheldrahtverhau. In dem Draht befand sich eine Lücke, die einem deutschen Maschinengewehrnest freies Schussfeld erlaubte. Auf den Knien kroch Walter hindurch.
    Er fühlte sich an die Abenteuergeschichten erinnert, die er als Schuljunge verschlungen hatte. Normalerweise handelten sie von tapferen jungen Deutschen, die von Indianern bedroht wurden, von Pygmäen mit Blasrohren oder von verschlagenen englischen Spionen. Die Helden hatten sich fast ständig durch Unterholz, Dschungel und Präriegras

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