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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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blickte in den Standspiegel. Ihr Haar war zerzaust; ansonsten aber sah sie hinreichend respektabel aus. Sie trat hinaus auf den Flur.
    Mit einer Nachthaube auf dem Kopf stand Tante Herm bei Sanderson, Mauds Dienstmädchen, deren rundes Gesicht blass war vor Angst. Dann kam auch schon Grout, der Butler, die Treppe herauf. »Guten Morgen, Lady Maud«, sagte er mit unerschütterlicher Höflichkeit. »Guten Morgen, Lady Hermia. Kein Grund zur Besorgnis. Das sind die Geschütze.«
    »Welche Geschütze?«, fragte Maud.
    »Die Geschütze in Frankreich, Mylady.«

    Das britische Trommelfeuer hielt eine Woche an.
    Eigentlich sollte es nur fünf Tage dauern, doch zu Fitz’ Bestürzung war nur an einem dieser Tage gutes Wetter. Trotz des Sommers herrschten niedrige Wolken und Regen vor, und beides erschwerte es der Artillerie, zielgenau zu feuern. Die Aufklärungsflugzeuge konnten aus dem gleichen Grund die Ergebnisse nicht sichten und der Artillerie helfen, ihre Treffgenauigkeit zu verbessern. Dadurch wurde es schwierig, deutsche Batterien zu beschießen, denn die Deutschen verlegten ihre Geschütze immer wieder, sodass die britischen Granaten harmlos in aufgegebene Stellungen einschlugen.
    Fitz saß bedrückt in dem feuchten Bataillonsgefechtsstand, rauchte eine Zigarre und versuchte den unablässigen Donner zu überhören. Weil es keine Luftaufnahmen gab, organisierten er und andere Kompaniechefs Spähtrupps zu den feindlichen Gräben. Dabei sah man den Feind wenigstens mit eigenen Augen. Doch Spähtrupps waren ein gefährliches Unterfangen, und wer zu lange fortblieb, kehrte nie zurück. Deshalb konnten die Männer nur einen hastigen Blick auf einen kurzen Abschnitt der deutschen Linie werfen und mussten dann schnellstens in die eigenen Gräben zurück.
    Zu Fitz’ maßloser Verärgerung brachten die Männer widersprüchliche Berichte mit. Einige deutsche Gräben waren zerstört, andere intakt. Einige Stacheldrahtverhaue waren offen, andere nicht. Am meisten beunruhigte ihn, dass mehrere Spähtrupps von feindlichem Beschuss vertrieben worden waren. Wenn die Deutschen noch schießen konnten, hatte die Artillerie eindeutig nicht ihre Aufgabe erfüllt, die feindlichen Stellungen zu pulverisieren.
    Fitz wusste, dass die britische 4. Armee während des Trommelfeuers genau zwölf deutsche Gefangene gemacht hatte. Sie waren ausnahmslos verhört wurden, doch es war zum Mäusemelken: Ihre Aussagen waren widersprüchlich. Einige erklärten, ihre Unterstände seien vernichtet, andere, dass ihre Kameraden sicher unter der Erde hockten, während die Briten über ihnen ihre Munition verschwendeten.
    Was die Wirkung ihrer Granaten anging, waren die Briten schließlich so unsicher, dass Haig den auf den 29. Juni angesetzten Angriff verschob. Doch das Wetter blieb schlecht.
    »Der Angriff wird noch einmal verschoben werden müssen«, sagte Captain Evans am Morgen des 30. Juni beim Frühstück.
    »Unwahrscheinlich«, erwiderte Fitz.
    »Wir können nicht angreifen, ehe wir nicht die Bestätigung erhalten, dass die feindlichen Verteidigungsanlagen zerstört sind«, sagte Evans. »Das ist ein Grundsatz der Belagerungskriegführung.«
    Fitz wusste, dass man sich im Frühstadium der Planung auf dieses Prinzip geeinigt, es später aber hatte fallen lassen. »Seien Sie realistisch«, entgegnete er. »Wir planen diese Offensive seit einem halben Jahr. Das ist unsere größte Unternehmung im Jahr 1916. Unsere gesamten Anstrengungen sind hineingeflossen. Wie könnte sie abgeblasen werden? Haig müsste seinen Abschied nehmen. Es könnte sogar das Ende der Regierung Asquith bedeuten.«
    Evans schien sich über diese Bemerkung zu ärgern. Seine Wangen röteten sich, und er hob die Stimme. »Lieber soll die Regierung stürzen, als dass wir unsere Männer gegen Maschinengewehrnester anstürmen lassen.«
    Fitz schüttelte den Kopf. »Sehen Sie sich die Millionen Tonnen Nachschub an, die hierher geschafft wurden, die Straßen und Eisenbahntrassen, die wir gebaut haben, die Hunderttausende Männer, die ausgebildet und bewaffnet von England hierher gebracht wurden. Was sollen wir tun – alles wieder nach Hause verfrachten?«
    Evans schwieg lange, ehe er erwiderte: »Sie haben natürlich recht, Major.« So beschwichtigend seine Worte waren, aus seiner Stimme klang kaum gezügelte Wut. »Wir schicken sie nicht nach Hause«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. »Wir begraben sie hier.«
    Gegen Mittag hörte es zu regnen auf, und die Sonne kam durch. Kurz

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