Sturz der Titanen
Das bedeutet, ich bin zu jung.«
»Das war der erste Kompromiss«, sagte Bernie. »Und der zweite?«
»Maud sagt, das Kabinett sei geteilter Meinung gewesen.« Das Kriegskabinett bestand aus vier Ministern und dem Premier, Lloyd George. »Curzon ist selbstverständlich gegen uns.« Earl Curzon, Leader des Oberhauses, war stolz darauf, Frauenfeind zu sein. Er war Präsident der Liga zum Widerstand gegen das Suffragettentum. »Gleiches gilt für Milner. Aber Henderson unterstützt uns.« Arthur Henderson war Vorsitzender der Labour-Partei, deren Abgeordnete das Frauenwahlrecht befürworteten, auch wenn viele Labour-Anhänger dagegen waren. »Bonar Law steht auf unserer Seite, ist aber ein unsicherer Verbündeter.«
»Zwei für uns, zwei dagegen. Und Lloyd George will jeden glücklich machen, wie immer.«
»Der Kompromiss besteht darin, dass es eine freie Abstimmung gibt.« Damit würde die Regierung ihre Anhänger vom Fraktionszwang befreien.
»Dann ist es also nicht die Schuld der Regierung, egal was geschieht.«
»Niemand hat Lloyd George je Naivität vorgeworfen.«
»Aber er hat euch eine Chance gegeben.«
»Mehr aber auch nicht. Wir müssen kräftig die Werbetrommel rühren.«
»Ich glaube, die Einstellung hat sich zugunsten der Frauen geändert«, sagte Bernie optimistisch. »Die Regierung ist versessen darauf, Frauen in die Industrie zu bekommen, um die Männer zu ersetzen, die in Frankreich kämpfen. Deshalb hat sie viel Trara gemacht, wie großartig sich Frauen als Busfahrerinnen und in Munitionsfabriken schlagen. Da ist es natürlich nicht mehr so einfach, Frauen als minderwertig hinzustellen.«
»Ich hoffe, du hast recht«, sagte Ethel inbrünstig.
Sie waren seit vier Monaten verheiratet, und Ethel bereute ihre Entscheidung keine Sekunde. Bernie war klug und warmherzig. Sie hatten die gleichen Überzeugungen und Ziele und arbeiteten gemeinsam daran, sie zu erreichen. Bernie würde wahrscheinlich bei der nächsten Parlamentswahl als Labour-Kandidat für Aldgate antreten, wann immer das sein mochte: Wie vieles andere musste auch die Wahl bis zum Ende des Krieges warten. Bernie gäbe einen guten Abgeordneten ab, denn er war intelligent und fleißig. Allerdings wusste Ethel nicht, ob die Labour-Partei Aldgate für sich gewinnen konnte. Der derzeitige Abgeordnete war Liberaler, aber seit der letzten Wahl im Jahre 1910 hatte sich viel verändert. Selbst wenn das Frauenwahlrecht nicht durchkam, gaben die anderen Vorschläge des Ausschusses einer viel größeren Zahl von Männern aus der Arbeiterschaft – potenziellen Labour-Wählern – das Recht, zur Wahl zu gehen.
Bernie war ein guter Ehemann, doch Ethel musste sich zu ihrer Schande eingestehen, gelegentlich begehrlich an Fitz zu denken, an seine weichen Hände, seinen geschliffenen Akzent, den Duft seines Herrenparfüms, auch wenn man ihn weder als warmherzig noch als Intellektuellen bezeichnen konnte, und obwohl ihre Ansichten gegensätzlicher nicht hätten sein können.
Doch sie war jetzt Ethel Leckwith. Jeder nannte sie und Bernie in einem Atemzug, so wie man von Pferd und Wagen oder Brot und Butter sprach.
Ethel zog Lloyd die Schuhe an und brachte ihn zur Kinderfrau; dann ging sie ins Büro des Soldier’s Wife . Der Himmel war wolkenlos, und Ethel war voller Hoffnung. Wir können die Welt verändern, dachte sie. Einfach ist es nicht, aber machbar. Mauds Zeitung würde die Arbeiterinnen aufrütteln, den Gesetzesantrag für das Frauenwahlrecht zu unterstützen und bei den Abgeordneten genau darauf zu achten, auf welcher Seite sie standen.
Die Redaktion bestand aus zwei kleinen Zimmern über einer Druckerei. Maud war bereits da und saß an einem alten, fleckigen Tisch. Dass sie so früh kam, lag zweifellos an den Nachrichten. Sie trug ein fliederfarbenes Sommerkleid und einen Hut, der an einen Zweispitz erinnerte und aus dem eine übertrieben lange Feder ragte. Ihre Garderobe stammte zum größten Teil aus der Zeit vor dem Krieg, war aber trotzdem elegant. Maud wirkte zu edel für die schäbige Umgebung, ungefähr so wie ein Rennpferd auf einem Bauernhof.
»Wir müssen ein Extrablatt herausbringen«, sagte sie, wobei sie sich auf einem Block Notizen machte. »Ich schreibe die Titelseite.«
Ethel war ganz aufgeregt. Endlich wurde gehandelt, statt herumzureden. Sie nahm auf der anderen Seite des Tisches Platz. »Ich kümmere mich um die übrigen Seiten«, sagte sie. »Was hältst du von einer Kolumne ›Wie unsere Leserinnen helfen
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