Sturz der Titanen
»Ja!«
»Also gut«, sagte Ethel. Und weil sie nicht wusste, was sie sonst tun sollte, verließ sie das Zimmer.
Fitz hatte bei seinem Schneider sechs neue Anzüge in Auftrag gegeben. Die alten waren ihm zu weit geworden und machten ihn älter, als er war. Er zog seine neue Abendkleidung an: einen schwarzen Frack mit weißer Weste und einen Eckenkragen mit weißer Fliege. So ist es schon besser, sagte er sich, als er sich im Spiegel seines Ankleideraums betrachtete. Er ging hinunter in den Salon. Im Haus kam er schon ohne Gehstock zurecht. Maud reichte ihm ein Glas Madeira.
»Wie geht es dir?«, fragte Tante Herm.
»Die Ärzte sagen, das Bein wird besser, aber nur langsam.« Fitz war im Frühjahr an die Front zurückgekehrt, aber die Kälte und Nässe der Schützengräben hatte sich als zu anstrengend für ihn erwiesen; nun stand er wieder auf der Liste der Rekonvaleszenten und arbeitete für den Nachrichtendienst.
»Ich weiß, dass du lieber im Feld wärst«, sagte Maud. »Aber wir sind weiß Gott nicht traurig darüber, dass du die Kämpfe im Frühjahr verpasst hast.«
Fitz nickte. Die Nivelle-Offensive war fehlgeschlagen, Général Nivelle seines Kommandos enthoben worden. Die französischen Soldaten meuterten; sie verteidigten ihre Schützengräben, weigerten sich jedoch, auf Befehl vorzurücken. Bislang war 1917 für die Entente ein weiteres schlechtes Jahr gewesen.
Doch Maud lag falsch, wenn sie glaubte, dass Fitz lieber an der Front wäre. Seine Arbeit in Room 40 war vermutlich wichtiger als die Kämpfe in Frankreich. Man befürchtete, deutsche U -Boote könnten die Versorgung Großbritanniens in den Würgegriff nehmen. Doch Room 40 konnte herausfinden, wo sich die U -Boote befanden, und Schiffe vorwarnen. Durch diese Erkenntnisse – in Verbindung mit der Taktik, Schiffe in von Zerstörern geschützten Geleitzügen fahren zu lassen –, büßten die deutschen U -Boote viel an Wirksamkeit ein. Es war ein Triumph, von dem jedoch nur wenige wussten.
Gefahr drohte nun aus Russland. Der Zar war entthront, und in dem riesigen Land konnte alles geschehen. Bislang hielten die Gemäßigten das Heft in der Hand, aber blieb es so? Nicht nur Beas Familie und Boys Erbe waren bedroht: Wenn die Extremisten in Russland die Regierungsgewalt übernahmen, schlossen sie womöglich Frieden, sodass Hunderttausende deutscher Soldaten von der Front im Osten abgezogen werden konnten, um in Frankreich zu kämpfen.
»Wenigstens haben wir Russland nicht verloren«, sagte Fitz.
»Noch nicht«, erwiderte Maud. »Die Deutschen hoffen auf den Triumph der Bolschewisten, das weiß jeder.«
Während sie sprach, trat Fürstin Bea ein. Sie trug ein tief ausgeschnittenes Kleid aus silbriger Seide und Brillantschmuck. Fitz und Bea gingen an diesem Abend zuerst auf ein Dinner, anschließend auf einen Ball: In London war Saison. Als Bea Mauds Bemerkung hörte, sagte sie: »Unterschätzt nicht das russische Zarenhaus. Es kann noch immer zu einer Gegenrevolution kommen. Denn was hat das russische Volk schließlich gewonnen? Die Arbeiter hungern nach wie vor, die Soldaten sterben noch immer, und der deutsche Vormarsch ist nicht ins Stocken geraten.«
Grout kam mit einer Flasche Champagner ins Zimmer. Er öffnete sie geräuschlos und schenkte Bea ein Glas ein. Wie immer nahm sie einen Schluck und stellte das Glas achtlos ab.
»Fürst Lwow hat bekannt gegeben«, sagte Maud, »dass Frauen bei der Wahl zur Verfassunggebenden Versammlung ein Stimmrecht haben werden.«
»Wenn es je so weit kommt«, meinte Fitz. »Die Provisorische Regierung gibt viel bekannt, aber hört ihr jemand zu? Wenn ich es recht verstanden habe, hat jedes Dorf einen eigenen Sowjet gewählt und regelt seine Angelegenheiten selbst.«
»Man stelle sich vor!«, rief Bea. »Diese abergläubischen, ungebildeten Bauern tun so, als würden sie regieren!«
»Das ist gefährlich«, sagte Fitz, den das Thema wütend machte. »Die Leute haben keine Vorstellung, wie leicht sie in Anarchie und Barbarei abgleiten könnten.«
Maud entgegnete: »Was für eine Ironie es wäre, wenn Russland am Ende demokratischer ist als Großbritannien.«
»Das Parlament wird eine Debatte über das Frauenwahlrecht führen«, sagte Fitz.
»Nur für Frauen über dreißig, die Hausbesitzerinnen sind oder Ehefrauen von Hausbesitzern.«
»Trotzdem musst du doch froh sein über den Fortschritt, den du erzielt hast. In einer Zeitschrift habe ich zu diesem Thema einen Artikel deiner Genossin Ethel
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