Sturz der Titanen
»Deshalb sind wir in der Politik. Menschen, die keine Ideale haben, ist alles gleich. Wir jedoch müssen uns der Realität von Wahlen und öffentlicher Meinung stellen.«
Fitz wollte sich nicht als unpraktischen Träumer etikettiert sehen und erwiderte: »Das ist sicherlich richtig. Dennoch berührt die Frage nach der Stellung der Frau das Herz des Familienlebens, von dem ich immer glaubte, es wäre einem Konservativen besonders wichtig.«
»Die Frage ist noch offen«, sagte Bonar Law. »Die Abgeordneten können frei abstimmen. Sie werden ihrem Gewissen folgen.«
Fitz nickte ergeben, und Silverman wandte sich einem anderen Thema zu und berichtete über die Meuterei des französischen Heeres.
Den Rest des Dinners verhielt Fitz sich still. Er fand es beunruhigend, dass dieses Gesetz sowohl bei Ethel Leckwith als auch bei Perceval Jones Zustimmung fand. Es bestand die gefährliche Möglichkeit, dass der Gesetzesvorschlag durchkam. Fitz war der festen Überzeugung, dass Konservative die tradierten Werte verteidigen sollten, anstatt sich kurzfristigen wahltaktischen Überlegungen zu beugen; er hatte jedoch erkannt, dass Bonar Law anderer Ansicht war und wollte nicht dabei beobachtet werden, wie er aus der Reihe tanzte.
Unmittelbar nach Bonar Law verließ er Lord Silvermans Villa, kehrte nach Hause zurück und ging sofort nach oben. Er kleidete sich aus, zog ein seidenes Nachthemd über und ging in Beas Zimmer.
Sie saß mit einer Tasse Tee im Bett. Er sah, dass sie geweint hatte, aber sie hatte sich das Gesicht gepudert und trug ein geblümtes Nachthemd und ein rosafarbenes, gestricktes Bettjäckchen mit Puffärmeln. Fitz erkundigte sich nach ihrem Befinden.
»Mir geht es ganz schrecklich«, sagte sie. »Außer Andrej habe ich keine Familie mehr.«
»Ich weiß.« Ihre Eltern waren tot, und sie hatte keine anderen nahen Verwandten. »Das ist beunruhigend. Aber Andrej beißt sich schon durch.«
Bea stellte Tasse und Untertasse ab. »Ich habe viel nachgedacht, Fitz.«
Aus ihrem Munde waren das sehr ungewöhnliche Worte.
»Bitte, halte meine Hand«, sagte sie.
Fitz umschloss ihre Linke mit beiden Händen. Bea sah schön aus, und trotz des traurigen Gesprächsthemas regte sich seine Lust. Er spürte ihre Ringe – einen Diamantreif zur Verlobung und den goldenen Hochzeitsring –, und ihn überkam das Verlangen, ihre Hand in den Mund zu nehmen und in den fleischigen Daumenballen zu beißen.
Bea sagte: »Ich möchte, dass du mich nach Russland mitnimmst.«
Er war so verblüfft, dass er ihre Hand losließ. »Wie bitte?«
»Sage bitte nicht gleich Nein, überlege es dir«, sagte sie. »Ich weiß, dass es gefährlich ist. Trotzdem sind derzeit Hunderte von Briten in Russland: Diplomaten an der Botschaft, Geschäftsleute, Offiziere und Soldaten des Heeres an unseren Militärmissionen, Journalisten und viele andere.«
»Und was ist mit Boy?«
»Ich lasse ihn nur ungern zurück, aber Jones ist ein sehr gutes Kindermädchen, Hermia betet den Jungen an, und Maud weiß im Notfall vernünftige Entscheidungen zu treffen.«
»Wir bräuchten Visa …«
»Ein Wort von dir ins richtige Ohr genügt. Meine Güte, du hast gerade mit wenigstens einem Kabinettsmitglied zu Abend gegessen.«
Sie hatte recht. »Das Außenministerium wird mich wahrscheinlich bitten, einen Bericht über die Reise zu schreiben, zumal wir aufs Land fahren, wohin unsere Diplomaten sich nur selten wagen.«
Bea nahm wieder seine Hand. »Mein einziger lebender Blutsverwandter ist schwer verwundet und könnte sterben. Ich muss ihn sehen. Bitte, Fitz, ich flehe dich an.«
In Wahrheit war Fitz ihrer Bitte gar nicht so abgeneigt, wie sie glaubte. Seine Einschätzung von »gefährlich« hatte sich in den Schützengräben radikal verändert. Eine Reise nach Russland war nicht ohne Risiko, aber im Vergleich dazu ein Spaziergang. Dennoch zögerte er. »Ich kann deinen Wunsch verstehen«, sagte er. »Ich werde Erkundigungen einziehen.«
Bea fasste es als Zustimmung auf. »Oh, ich danke dir!«
»Dank mir noch nicht. Lass mich erst in Erfahrung bringen, ob die Reise machbar ist.«
»Also gut«, sagte sie, aber er merkte ihr an, dass das Ergebnis für sie bereits feststand.
Er stand auf und ging zur Tür. »Ich muss mich zum Schlafen fertig machen.«
»Wenn du deine Toilette beendet hast, komm bitte wieder. Ich möchte, dass du mich hältst.«
Fitz lächelte. »Natürlich.«
Am Tag der Parlamentsdebatte über das Frauenwahlrecht organisierte Ethel in einem
Weitere Kostenlose Bücher