Sturz in den Tod (German Edition)
Respekt anzusehen, den er vor diesem Wendemanöver
hatte. Bereits der erste Kreuzschlag brachte das Boot beinahe zum Kentern. Romy
hielt sich gut fest. Pasquale versuchte einen zweiten Kreuzschlag. Er gelang.
Romy schrie ihm ihr Lob zu. Plötzlich wich der Wind aus dem gespannten Segel,
ergriff es und zerrte an ihm herum, als wollte er es vom Mast reißen.
Pasquale hätte längst einen weiteren Kreuzschlag vornehmen müssen,
um mit dem Boot im Zickzackkurs an Land zu kommen. Als er es versuchte,
reagierte das Segel nicht auf sein Manöver. Pasquale bemerkte noch immer nicht,
dass es an Romys Steuerung lag. Er kletterte auf den Bug und zog an den Tauen,
als könnte er dadurch etwas bewirken. Romy steuerte nach Backbord. Der Wind
riss das Boot zur Seite. Pasquale verlor das Gleichgewicht. Das Baumliek
knallte gegen seinen Kopf. Pasquale sackte auf dem Bug zusammen. Sein Körper
hing halb im Wasser.
Romy ließ die Steuerung los. Das Segelboot wurde vom Wind hin und
her gerissen. Sie kroch auf Pasquale zu, als wollte sie ihm zu Hilfe kommen. Er
sah sie noch kurz an, wollte etwas sagen. Dann rutschte er ins Wasser.
Pasquale ging unter und war nicht mehr zu sehen. Jetzt rief sie
seinen Namen und streckte die Hand nach ihm aus. Sekunden später beeilte sie
sich, das Segelboot gekonnt gegen den Wind in Richtung Ufer zu kreuzen. Nachdem
es ihr gelungen war, setzte sie sich erschöpft auf den Boden des Bootes und
hielt das Steuer. Sie segelte in Richtung Naturstrand am Anfang des Brodtener
Ufers. Dorthin, wo sie am Strand in einem Versteck ein Handtuch und warme
Sachen verstaut hatte. In die Richtung, in der sie auch das Auto am frühen
Morgen abgestellt hatte. Sie zog sich bis auf den Badeanzug aus und ließ sich
vorsichtig ins Wasser gleiten. Das Boot segelte weiter, bis der Wind es zum
Kentern brachte.
Romy schwamm. Etwa fünfhundert Meter lagen vor ihr. Der Wind kam
immer noch vom Land und ließ sie nur langsam vorankommen. Als sie sich
umdrehte, sah sie nur noch die Spitze des weißen Segels aus dem Meer ragen,
bevor es in die Tiefe hinabgezogen wurde.
Als sie endlich Boden unter den Füßen hatte, kamen ihr vor
Erschöpfung die Tränen. Sie schmeckten genauso wie das Wasser, das das Meer ihr
ins Gesicht geschlagen hatte. Sie watete die letzten Meter, als weit hinten
zwei Angler in hüfthohen Stiefeln über den Strand kamen, ins Wasser stiegen und
ihre Angeln auswarfen. Romy nahm ihr Handtuch hervor und trocknete sich ab, als
würde sie jeden Morgen hier schwimmen. Sie zog die Sachen aus dem Versteck an
und sah noch einmal über dieses Meer, das vom Ufer aus so ruhig wirkte. Türkis
bis auf den Grund. Ein Friedhof, dachte Romy. Und ging weg. Für immer.
***
Wie von einer unsichtbaren Kraft wurde Pasquale nach unten
gezogen. Er war zu benommen, um sich zu wehren. Er sank im milchig grünen
Wasser. Irgendwann öffnete er den Mund, die Augen. Er sah Romy vor sich. Er
wollte zu ihr. Er ruderte verzweifelt mit den Armen. Er schaffte es nach oben.
Zwei Fischer fanden ihn, als er wie leblos auf dem Rücken in den
Wellen trieb. Sie bargen ihn in ihrem kleinen Boot, beatmeten ihn und pumpten
ihm das Wasser aus den Lungen. Das Erste, was Pasquale wahrnahm, war der Geruch
von Fisch. Dann die Kälte.
Leute vom Seenotrettungsdienst übernahmen und versorgten ihn auf dem
Weg in die Klinik in Lübeck.
Pasquale fragte nach dem Segelboot. Nach Romy.
Ein Sanitäter legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter, ohne
zu antworten.
»Ihr müsst sie suchen!«, flehte Pasquale.
***
Die Polizei suchte. Vergebens. Pasquale gegenüber
erwähnten sie nur das nicht auffindbare Boot. Kein Wort über Romy. So als hätte
es sie nie gegeben.
Zwei Kripobeamte befragten ihn, während eine Infusion tropfenweise
in seinen Körper floss. Nach dem Boot. Woher er es hatte. Nach der toten Frau
Bergmann. Als sie ihn fragten, ob er in der gestrigen Nacht auch den
Mordversuch an Nina Wagner verübt und sie vom Brodtener Ufer in den Abgrund
gestoßen hätte, stritt Pasquale das vehement ab. »Das muss jemand anders
gewesen sein!«
Dann schoss ihm durch den Kopf, dass es Romy gewesen sein könnte.
Ihm kam auch der Gedanke, dass er alles auf Romy schieben könnte.
Doch Romy war tot. Und das war seine Schuld. Alles war seine Schuld.
Schließlich nahm Pasquale alles auf sich. Das war das Wenigste, das
er noch für seine große Liebe tun konnte.
Zwei Stunden später kam die Polizei mit dem Haftbefehl.
ZEHN
Der Wind trieb schwarze Wolken vom
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