Sturz in die Vergangenheit
Herz noch wild galoppierte, hob Matthias langsam und vorsichtig den Kopf. Eine Straucherle! Eine recht kleine sogar. Aber die zäh genug, ihm Halt zu geben.
Es dauerte, bis er sich hochgezogen hatte, schließlich atem- und kraftlos auf dem Pfad lag.
Doch noch viel länger dauerte es, bis er in der Lage war, sich aufzusetzen und eine Bestandsaufnahme zu machen. Er selbst war okay. Aber seine Geschichte?
Wieder dieses wilde Herzjagen, bis er die Tasche ein Stück oberhalb auf dem Pfad entdeckte. Sie war ebenfalls da.
Ein Abfallbeutel hatte sich an einer herausragenden Wurzel verhängt, der andere ... Matthias konnte ihn nirgends entdecken. Aber das war ihm im Moment egal. Ihm war nämlich eine Erkenntnis gekommen.
Mühsam rappelte er sich hoch, hangelte sich zu seiner Tasche, holte den Müllbeutel – und kehrte zu der Stelle zurück, an der er beinahe in den Tod gerutscht wäre. Allein die kleine Straucherle hatte ihn gerettet. Genauso ein Busch, wie er vor dem Eingang der Höhle stand.
Die Höhle. Wo alles begonnen hatte. Und geendet. Kein Happy End, wie im Roman. Aber eines, das realistisch war. Vernünftig war, real.
Und das dazwischen?
Matthias schüttelte sacht den Kopf. Spielte das eine Rolle? Sein Ziel hatte er doch erreicht, oder nicht?
Er musste die Tasche öffnen und sich vergewissern.
Doch, es stimmte: Da war das Blätterpaket. Mit ihm war ihm das gelungen, was er fünf lange Jahre vergeblich versucht hatte: Er hatte wieder ein Buch geschrieben – und darüber hinaus endlich sein Leben aufgearbeitet.
Nur um im letzten Moment beinahe noch abzustürzen.
Waren angesichts dessen die Umstände, wie alles gekommen war, nicht völlig gleichgültig?
Zufrieden nickte er. Das war der richtige Ansatz.
Einem Impuls nachgebend, rupfte er Blätter von der Straucherle. Er würde jetzt und hier einen Schwur leisten. Einen, der ihn ab sofort in sein neues Leben geleiten würde.
„Ich schwöre hier vor Gott und allen Geistern der Natur“, er warf die Handvoll Blätter in die Luft, wartete, bis sie zu Boden gesegelt waren, ehe er weiter sprach, „dass ich ein neues Leben beginne. Mit dem alten habe ich vollständig abgeschlossen, ich lasse es hier zurück.“ Er machte einen Schritt. Und noch einen. „Es liegt hinter mir. Was auch immer geschehen ist, es ist vorbei.“
So, jetzt war es vollbracht. Etwas theatralisch vielleicht, aber das musste er ja niemandem erzählen. Und aufschreiben selbstverständlich auch nicht.
Matthias fühlte sich leicht und unbeschwert, als er, vorsichtiger jetzt, ins Tal hinabstieg.
Denn dort wartete es. Sein neues Leben.
Epilog
Brachet, Anno 1293
A ls Mila endlich am Ziel ankam, war es tiefe Nacht – und ihr Leben fühlte sich nicht mehr bedeutend anders an als ... vor Mattis' Auftauchen.
Im Mondlicht erblickte sie die recht große Hütte, weitläufig eingezäunt, erkannte Johanns Pferd, das dort friedlich graste. Auf Milas Erscheinen hin regte sich das Tier nervös, schnaubte. Beruhigend auf es einredend, öffnete Mila die Pforte und betrat die umfriedete, ebene Wiese – die gute Gemüsebeete abgeben würde, sollten sie länger hier leben. Im spärlichen Licht konnte sie von der Hütte selbst nicht allzu viel erkennen, nur dass sie groß war und in sehr gutem Zustand, mit einem soliden Steinfundament und mehreren Fenstern. Aus der Nähe jetzt bemerkte sie den flackernden Kerzenschein drinnen – Stimmen waren nicht zu hören. Vorsichtshalber klopfte sie.
„Mila.“ Johann war sofort an der Tür. Spähte misstrauisch an ihr vorbei. „Ist er weg?“
„Geht es Ilya gut? Ist alles gut gegangen?“ Unterwegs hatte sie kaum Zeit gehabt, sich darum zu sorgen.
„Er schläft. Dort hinten.“ Johann bugsierte sie in den großen Innenraum, der neben dem Herd eine Nische mit Bett aufwies.
Käthe lag an der Wand, im Schlaf ihre Arme schützend um Ilyas kleinen Körper gelegt. Der schlummerte tief und fest. Mila küsste ihn zärtlich, genoss das kleine Zucken, mit dem sein Mund verträumte Saugbewegungen formte.
„Oben sind noch zwei Schlaflager“, ereilte sie Johanns Hand an ihrem Busen – im selben Moment wie seine Worte.
Mila sprang auf, nach hinten – und landete so natürlich erst recht in seinen zwingenden Armen.
„Ich bin müde und verschwitzt, ich mag doch jetzt nicht ...“
Ihren Widerstand schien er nicht einmal zu bemerken. Schob seine Hand zwischen ihre Beine, presste den Stoff ihres Rockes grob gegen ihren Schritt. „Du trägst den Samen
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