Sturz in die Vergangenheit
bereits einen Moment später sprach sie weicher weiter. „Leisten könnte er sich einen Spezialisten, ja. Aber weil wir es sind, die jeden Cent gut brauchen können, entscheidet er sich stets für mich. Außerdem unterschlägst du, dass ich auch Kunsthistorik studiere. Ich eigne mich damit doppelt so gut für die Beurteilung der Sachen, mit denen er nun mal handelt.“
„Es ist also nicht Ivens Edelmut, ausgerechnet dir als seiner Exfreundin den Job zu geben, sondern seine Sparsamkeit?“
„Ach, lass mich doch in Ruhe.“ Lida wandte den Kopf ab und blickte aus dem Seitenfenster.
Elias auf der Rückbank sang inzwischen aus voller Kehle gemeinsam mit dem Elefanten von der Kinderkassette. Zumindest er machte einen glücklichen Eindruck. Matthias warf einen Blick in den Rückspiegel. Blass war er, der Kleine. Dunkle Augenringe zeugten davon, dass der Junge alles andere als gesund und fit war. Aber das würde sich ja bald ändern.
Die Kinderkassette war verstummt, Elias eingeschlafen. Sein Köpfchen war zur Seite gerutscht, die dunklen Locken hingen ihm wirr ins Gesicht. Aber er hustete nicht. Ob das bereits die Wirkung der Bergluft war? Sie hatten Tirol erreicht, gerade die Zugspitze passiert. Matthias sah nach vorn. Nur noch wenige Kilometer auf der Fernpassstraße und sie würden Bichlbach erreicht haben. Wo sie zu seiner Hütte eigentlich in die Berge abbiegen müssten. Nach Reutte jedoch ...
Matthias rief sich zur Ordnung. Er sollte sich jetzt wirklich nicht so haben. Die Fahrt über Reutte bedeutete vielleicht eine Stunde Umweg. Solange Elias nicht quengelte, war das durchaus zu verkraften.
„Ich danke dir“, hörte er Lida neben sich erleichtert aufatmen, als sie die Abzweigung zur L 21 passiert und Bichlbach links liegen gelassen hatten.
„Du schaust dir diese Unterlagen an und dann fahren wir sofort wieder“, forderte Matthias.
„Aber ja.“ Sie nickte mit dem Kopf, dass ihre braunen Haare wippten. „Ich will doch nur einen Blick darauf werfen, ob sie für meine Arbeit etwas sind.“ Lida legte ihre Hand auf Matthias' Arm. „Vielleicht taugen sie ja auch für deine Familienforschung. Das wäre doch toll! Der Stammbaum der Peregrinus', der bis vor Meinhard zurückreicht.“
Matthias nickte. Und wusste gleichzeitig: Damit hatte sie ihn. Einer Aussicht auf genealogische Forschungen konnte er nicht widerstehen. Dieses Hobby hatte er von seinem Vater sozusagen geerbt, als nach dessen Tod alle zusammengesammelten Unterlagen in seinen Besitz übergegangen waren.
„Meinhards Geschichte ist hinreichend bekannt.“ Um seine erwachte Begeisterung ein wenig zu verbergen, schränkte er Lidas Ködertechnik deshalb etwas ein. „Interessant allerdings wäre herauszufinden, ob nicht irgendwo in der Ahnenreihe Meinhards noch ein Kuckucksei steckt, ein Bastard oder ein weiteres illegitimes, aber anerkanntes Kind.“
„Diese Wahrscheinlichkeit besteht durchaus“, stimmte Lida ihm sofort zu. „Der große Meinhard wird nicht der einzige gewesen sein, der illegitime Kinder hatte, die später Macht und Erbe an sich gerissen haben.“
„Ja, auf den brutalen Vinzenz ist meine Familie auch ganz besonders stolz.“ Matthias' Ton war eine gehörige Portion Sarkasmus beigemischt. „Ein anerkannter Bastard, der sich so dankbar zeigt, dass er sich aller ehelichen Konkurrenten entledigt“, dabei deutete er eine Halsabschneiderbewegung an.
„Ein feiner Vorfahr, ein sehr feiner Vorfahr“, kicherte Lida, endlich wieder ganz entspannt.
„In den Unterlagen über Ehrenberg, so fürchte ich, wird darüber allerdings nichts zu finden sein“, gab Matthias zu bedenken. „Meinhard hat erst gegen Ende seines Lebens Ehrenberg in Auftrag gegeben. Wenn ...“ Ivens Namen auszusprechen wagte er an dieser Stelle nicht, die Gefahr, mit Lida wieder in Streit zu geraten, erschien ihm zu groß. „Wenn die neu gefundenen Unterlagen wirklich aus dieser Zeit stammen, werden sie für mich nichts Neues beinhalten.“
„Warten wir es ab“, sagte Lida und wies nach vorn. „Da kommt schon Ehrenberg in Sicht.“
Die prachtvolle Burg thronte majestätisch auf dem niedrigen Gipfel des Katzenbergs vor dem entschieden höheren Schlossberg. So groß und beeindruckend hatte Matthias sie gar nicht in Erinnerung gehabt.
Von dort oben hatte man den besten Blick auf die Region Reutte und ins Tal zwischen Klausenwald und Gschwendtkopf. Meinhard hatte den Bauplatz für Ehrenberg damals durchaus genial gewählt. Mittels der Burg hatte er
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