Sturz in die Zeit: Roman (German Edition)
übertragenen Kraft einhergeht.« Unsere Blicke trafen sich, und ich las in seinen Augen fast so etwas wie Bedauern. Oder Enttäuschung. »Keiner von uns will dir wehtun oder dich davon abhalten, dein Leben zu leben, aber es könnte sein, dass wir keine Wahl haben. Nicht, wenn du ein zu großes Risiko darstellst. Wir können es akzeptieren, wenn du auf der anderen Seite stehst, aber nicht, wenn du unberechenbar und impulsiv bist. Mag zwar sein, dass wir Tempest als unsere Gegenspieler betrachten, aber wir respektieren, wie vorsichtig ihr Anführer mit der Zeit umgeht. Verstehst du?«
Mir liefen Schweißtropfen den Rücken herunter. Mein Herz raste. Er schaute mich an und konnte all das sehen. »Was willst du? Wovon sprichst du?«
Er presste Hollys Arme an ihren Körper und schob sie noch näher an die Dachkante. Endlich erlaubte ich mir einen Blick in ihr Gesicht und sah, wie Panik in ihr aufstieg. Sie erwartete das Gleiche wie ich.
Thomas umfasste ihre Taille, hob sie hoch und hielt ihren Oberkörper über die Kante. Ich schnappte nach Luft, als er sich weiter hinauslehnte.
»Warte! Nicht!«, rief ich, aber es hatte keinen Zweck.
Thomas stemmte sie noch höher und warf sie dann mit einer unglaublichen Kraft über die Kante. Holly stieß einen gellenden Schrei aus, und mein Gehirn schaltete auf Automatik. Ich sprang. Nicht durch die Zeit, sondern richtig.
Von diesem Dach.
In der Millisekunde, in der ich mitten im freien Fall ein Stück von Holly zwischen meinen Fingern spürte, zwang ich mich zur Konzentration. Denk an einen Ort, an dem du sein willst , suggerierte ich mir. An einen schönen, wunderbaren, sicheren Ort.
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Eben noch hatte ich Hollys Handgelenk zwischen meinen Fingern gespürt. Jetzt spürte ich ihr Gewicht auf mir. Um uns herum weiches Gras. Ihr Herz schlug gegen meins.
»Holly?«, brachte ich hervor. Ich hielt meine Augen noch immer fest geschlossen.
Wir atmeten beide mit tiefen Zügen die Panik aus.
»O Gott, sind wir tot?«
Ich schaute in ihre hellblauen Augen, in denen sich die Sonne spiegelte. Sonne, nicht Regen. »Nein, wir sind nicht tot. Verdammt, ich weiß nicht, was ich gerade getan habe.«
Sie sah mich eine weitere Sekunde lang an, und dann küsste sie mich, während ihre Tränen auf mein Gesicht tropften. Ich drückte sie so fest an mich, dass ich mich fragte, wie sie überhaupt weiteratmen konnte.
Als mir die Luft ausging, ließ ich sie los und breitete meine Arme im Gras aus. »Holly?«
»Ja?«
»Bin ich gerade wirklich von einem Dach gesprungen?«
»Ja.« Sie drückte ihr Gesicht in mein Shirt und schluchzte.
Ich rollte uns beide in Seitenlage, um sie besser ansehen zu können. »Es ist alles gut, Holly. Du bist unverletzt.«
Schließlich hob sie den Kopf und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. »Du kannst zusammen mit normalen Menschen durch die Zeit reisen?«
»Scheint so. Aber ich wusste es nicht. Im Ernst, der Gedanke ist mir nie gekommen. Ich hab dich fallen sehen, und es war … Instinkt. Ich hab nicht eine Sekunde nachgedacht.« Ich legte meine Stirn an ihre und schloss die Augen. »Ich hätte es nie so weit kommen lassen dürfen. Ich wusste nicht, was er vorhatte, und …«
»Schon in Ordnung … Ich weiß, dass du ihn hinhalten wolltest. Ich hätte das Gleiche getan.« Sie umfasste mein Gesicht mit den Händen und gab mir noch einen Kuss. »Ist das hier der Central Park?«
Ich blickte mich vorsichtig zum ersten Mal um. Schließlich waren wir gerade auf magische Weise aus dem Nichts aufgetaucht. Niemand hatte geschrien oder so. Das war schon mal ein gutes Zeichen. Innerhalb weniger Augenblicke erkannte ich den Ort wieder. Es war der Great Lawn an der Upper West Side, ganz in der Nähe von einem der Baseballfelder. Ungefähr fünfzehn Meter von uns entfernt nahmen zwei Mädchen ein Sonnenbad. Sie trugen Sonnenbrillen und schienen ihre Umgebung ausgeblendet zu haben. Alle anderen befanden sich weiter weg.
»Genau, Central Park«, bestätigte ich und zog Holly von der Wiese hoch. »Die schwierige Frage ist normalerweise nicht, wo ich bin, sondern wann ich mich dort aufhalte.«
»Du hast keine Ahnung, in welche Zeit wir gereist sind?«, fragte Holly.
Als ich ihre schockierte Miene sah, musste ich lächeln. »Wir müssen nur eine Quelle suchen.«
Bevor wir losgingen, umarmte ich sie noch einmal; ich wollte sie nicht loslassen. Ich vergrub mein Gesicht in ihren Haaren und atmete tief durch, um mich zu sammeln. »Sobald wir herausgefunden haben, was
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