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STYX - Fluss der Toten (German Edition)

STYX - Fluss der Toten (German Edition)

Titel: STYX - Fluss der Toten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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lächerlich sie auch sein mochte. Mir war das Amt übertragen worden, in einer beliebten Krimiserie den Richter zu spielen. Es war eine kleine Rolle mit wenig Text, ein paar Sätze nur. Solche Aufträge hatte ich mehrfach zur Zufriedenheit aller Beteiligten ausgeführt.
    Spätestens der Blick auf die mir vertraglich zugesicherte Gage hatte mich regelmäßig von der Dringlichkeit einer solchen Aufgabe überzeugt. An jedem Drehtag wurde ich mit einem Schlag in die höchstmögliche Steuergruppe katapultiert. Von Null auf Hundert, sozusagen. Auch wenn das Finanzamt die Hälfte meiner Einnahmen gleich einbehielt, den Großteil des Betrages bekäme ich im Folgejahr, mangels entsprechender Einnahmen, zurückerstattet – ohne Zinsen, versteht sich.
    Natürlich gab es zahlreiche Schauspieler, die bedeutendere Rollen erhielten und darum reichlicher entlohnt wurden. Doch ich war mit meinen kleinen Engagements zufrieden. Sie sicherten mir ein Zubrot zu meinen sonstigen Einkünften und erlaubten mir, mich meinen eigentlichen Vergnügungen hinzugeben, die das freie Künstlertum so mit sich brachte: langes Ausschlafen, freie Zeiteinteilung, Spaß am eigenen Schaffen, unabhängig von jedem Erfolgsdruck – jedenfalls bildete ich mir das ziemlich erfolgreich ein. Ja, das war eigentlich mein größter Erfolg: die Illusion eines halbwegs geglückten Lebens!
    Aber jetzt stand ich einsam auf dem Flur eines Gerichtsgebäudes, und alles schien wie weggeblasen. Wo befand ich mich wirklich? Gefangen in meinen eigenen Metaphern?
    So ein Blödsinn! Schließlich war das hier kein Gefängnis. Ich konnte das Gebäude jederzeit verlassen – vorausgesetzt, dass ich den Ausgang wieder fände, zumindest den Ausgangspunkt meiner Suche.
    Allerdings wartete jemand auf mich, und das beschränkte sich nicht auf eine einzelne Person. Ich hatte einen Termin mit einem ganzen Team von Mitarbeitern. Zwar war ich nur ein kleines Rädchen in einer gut geschmierten Maschinerie, aber es gehörte nun einmal zu meiner Auffassung von Pflichterfüllung – unabhängig von der Bezahlung – Termine einzuhalten.
    Ein Termin war eine gemeinsame Vereinbarung, eine Art Versprechen, das man gab. Mit Versprechungen hielt ich mich für gewöhnlich bedeckt. Erfahrung hatte mich gelehrt, dass immer etwas dazwischen kommen konnte, zwischen den Versuch der Ausführung und dem tatsächlichen Einhalten einer Vereinbarung. So etwas führte dann leicht zu Irritationen, bis hin zu Vertrauensbruch und Schuldzuwei- sungen – mit den bekannten Folgen.
    Selbst kleinste Versprechen stellten eine Bürde dar. Deshalb ging ich so sparsam damit um. Und warum sollte ich mir ohne Not so etwas aufhalsen, zumal bei meinem Anspruch an mich selbst. Ich war viel zu moralisch, um mich mit solchen Dingen zu belasten – wie gesagt, aus Erfahrung klug. Schließlich erwartete ich von anderen ebenfalls, dass sie sich an ihre Versprechen hielten. Da konnte ich nicht mein eigenes System durchlöchern und so tun, als wären diese Ansprüche variabel. Flexibilität hin oder her – ein Versprechen war ein Versprechen! Darauf musste man sich verlassen können. Was sonst gab einem Halt in dieser Welt?
    Es schien, als wollten mir die Mauern des Gerichtsgebäudes, in dem ich mich befand, aufmunternd zunicken. Doch damit hätten sie das Versprechen gebrochen, das Gebäude zusammenzuhalten, das sie stützten – und es folglich zum Einsturz gebracht. Also ließen sie, auch in meinem eigenen Interesse, davon ab und stimmten mir auf ihre stumme, unbeugsame Weise zu.
    Während mir derlei Gedanken durch den Kopf schossen – sie kannten ihre Wege und Bahnen –, suchte ich meinen Weg zurück, indem ich mich erneut dem Fahrstuhl anvertraute, der mich ins Erdgeschoss befördern sollte. Und er tat es auf seine eigene, beinah lautlose, Verlässlichkeit signalisierende Weise.
    Da stand ich nun und hatte die Wahl zwischen mehreren Möglichkeiten. Die Gänge, die sich vor meinen Augen auftaten, verliefen strahlenförmig auf meinen Standpunkt zu. Ein Umstand, der mir auf dem Hinweg gar nicht aufgefallen war, weil mich eine vermeintlich präzise Wegbeschreibung geleitet hatte. Das Labyrinthische des Gebäudes begann ich erst jetzt wirklich zu erfassen, zumal ein Blick durch die hohen Fenster mir anzeigte, dass sich weitere Gebäude anschlossen, die offensichtlich alle miteinander in Verbindung standen.
    Schon beim Betreten des Gerichts hatte mich eine gewisse Ehrfurcht befallen, die ich aber lässig beiseite schieben konnte,

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