STYX - Fluss der Toten (German Edition)
wäre erstickt in einem hysterischen Hustenanfall oder einem heiseren Lachkrampf. Weder das eine noch das andere erschien mir eine verlockende Alternative.
In stummer Verzweiflung wählte ich einen der anderen Gänge. Auch dieser Versuch führte mich nicht auf den richtigen Weg zurück. Ohne Handy, ohne Navigationsgerät fühlte ich mich gänzlich verloren. Doch am Fahrstuhl zu warten, wäre die falscheste Lösung gewesen. Ich wusste, ich musste etwas unternehmen, wollte ich nicht völlig aus der Zeit fallen, untertauchen in den Abgründen meines eigenen, grüblerischen Ichs. Kurz davor, in absolute Panik zu verfallen, beschloss ich, so viele Gänge wie möglich anzusteuern und vielleicht durch vermehrtes, schnelles Abschreiten, eine Art System hinter diesem versteinerten Irrgarten zu entdecken, ein System, das mich – so mein aberwitziger Gedanke – zum Eingang zurückführen würde.
Und so begab ich mich vorsätzlich in die Irre, in der verrückten Hoffnung, auf diese Weise einen Fluchtweg aus dem Labyrinth zu finden. Ich taumelte im Gebäude umher, müde der Türen, Fenster und Wände, die alle gleich aussahen, müde der ebenmäßigen, gefliesten Fußböden, die kein Unterscheidungsmerkmal zuließen, sowie müde der elenden Bilder und Vergleiche, die mich bis hierher begleitet hatten.
Erneut hielt ich Umschau, um mich meines jetzigen Standpunkts zu vergewissern. Hatte ich eine dieser verputzten Mauern schon einmal gesehen? Gab es irgendein noch so unbewusstes Erkennungsmerkmal, das mich auf die richtige Fährte führte? Konnte ich meinen Instinkten überhaupt noch trauen!?
Es war zum Haare ausraufen! Auch hätte ich meinen Kopf vor Scham in den Händen vergraben mögen. Andererseits fehlte es an Zuschauern, die einer derart theatralischen Geste ihre Sympathie oder wenigstens ihr Mitleid hätten entgegenbringen können. Ich war kein Fußballer, der eine so genannte tausendprozentige Chance versemmelt hatte, sondern ein armer, lächerlicher Schauspieler auf der Suche nach seinem Drehort und seinem Team. Verlassener konnte ein Mensch in diesem Moment kaum sein, vergleichbar eher – wenn schon wieder ein Vergleich herhalten musste – einem Kicker im falschen Hotel, in der falschen Stadt, ohne Mannschaft, ohne Betreuer, ohne Bus und ohne Fahrer. Und da ich selbst gern einmal Fußballer geworden wäre – lang, lang ist’s her! – hatte ich jetzt doppelt Grund, um mit Fug und Recht zu behaupten: Ich fühlte mich wie im falschen Film!
Ich entschied mich, einfach weiterzugehen. Immer weiter!
Jedes Fortschreiten war besser, als in Reglosigkeit zu verharren, egal, wie absurd es mir vorkam. Alle Ängste hinter mir lassend – na ja, die meisten jedenfalls – folgte ich einem der Gänge und glaubte nach wenigen Schritten auf halber Höhe einen ungewöhnlichen Lichteinfall bemerkt zu haben.
Immer wenn du glaubst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her ...
Normalerweise hielt ich solche Redewendungen für banal und abgedroschen. Aber was war schon normal an diesem Tag, zu dieser Stunde, in diesem Gebäude.
Mein Gang führte auf einen Flur, der Flur wiederum in eine mehrstöckige Treppenhalle mit hufeisenförmig umlaufenden Galerien. Im Zentrum der Halle erhob sich ein runder Brunnen, der keinerlei Wasser führte, mäßig erhellt durch ein rechtwinkliges, schachbrettartig unterteiltes Oberlicht aus Milchglasscheiben.
Ich bog um eine Ecke und im selben Moment entdeckte ich auf dem nächstgelegenen Gang, nur einen halben Steinwurf von mir entfernt – einen Menschen.
Wie lange war ich schon keinem lebendigen Wesen mehr begegnet? Ich hätte ihm entgegenstürzen, ihm freudig um den Hals fallen mögen, dankbar allein für seine Anwesenheit, so erlösend wirkte sein Anblick. Ich tat aber nichts dergleichen. Irgendetwas hielt mich zurück.
War es überhaupt ein Mensch oder nur eine Erscheinung, die meine reichlich geplagte Phantasie mir vorzugaukeln beliebte – eine Fata Morgana in dieser steinernen Einöde? Nein, es war eindeutig ein Mensch! Er bewegte sich. Selbsttätig.
Bei genauerer Betrachtung handelte es sich um eine junge Frau mit einem Handy am Ohr, eine Frau, in Schwarz gekleidet, die sich dennoch deutlich vom dunklen Flur abhob, durch den seitlichen, wenn auch schwachen Lichteinfall von oben.
Sie redete, halb mit dem Rücken zu mir gewandt, in ihr Gerät hinein. Ich verstand nicht, was sie sagte, aber ich marschierte direkt auf sie zu. Es war jetzt weniger die Frau, als das Handy, das
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