STYX - Fluss der Toten (German Edition)
Sievekingplatz 1, oder?«
»Ja, aber vielleicht wollen Sie in das gegenüberliegende Gebäude.«
Was sollte ich nun davon halten?
Ich hörte einen Mann und eine Frau hinter mir die steinerne Treppe herunterkommen. Die Frau trug eine große, schwarze Tasche. Ich ging auf sie zu.
Schon von weitem fragte ich: »Entschuldigen Sie, gehören Sie zum Filmteam?«
Beide schauten verwundert. Die Frau reagierte am schnellsten: »Nein, tut mir leid. Aber wir fühlen uns geehrt, dass wir so aussehen.«
Ich kehrte zur Auskunft zurück, zückte meine Brille, und suchte nach einer Handynummer auf meiner Dispo, die dort handschriftlich eingetragen war. Die Produktionsassistentin hatte sie mir am Vortag gegeben. »Falls irgendwas ist.«
»Was soll schon sein«, hatte ich noch gesagt, die Nummer trotzdem notierend. »Wenn es Sie beruhigt ...«
Die Frau an der Auskunft schien tatsächlich die richtige Person am richtigen Platz zu sein – was man von mir noch nicht behaupten konnte. Bei genauerem Hinsehen war ich mir allerdings auch in ihrem Fall nicht mehr sicher. Langsam und mühselig drückte sie die Ziffern, die ich ihr diktierte und reichte mir, als das Freizeichen ertönte, den Hörer.
Eine automatische Stimme signalisierte Abwesenheit. Ratlos schaute ich mich in der Eingangshalle um. In jedem Besucher sah ich ein potentielles Filmcrewmitglied. Das führte mich nicht weiter. Schließlich fand ich die Nummer des Produktionsbüros auf meinem Dispo-Blatt und ließ dort anrufen. Diesmal meldete sich die Assistentin, die ich auf ihrem Handy nicht erreicht hatte.
Na, immerhin etwas!
»Ich stehe hier in der Eingangshalle des Gerichtsgebäudes, und niemand weiß etwas von irgendwelchen Dreharbeiten. Vielleicht können Sie mir ja weiterhelfen.«
»O Gott!«
Ich bezweifelte, dass der mir jetzt eine große Hilfe wäre.
»Fragen Sie nach dem Hausmeister.«
Das war mal eine überraschende Alternative. Aber den Hausmeister kannte die Frau hinter dem Tresen auch nicht.
Erstaunlich , dachte ich. Ein öffentliches Gebäude und kein Hausmeister, jedenfalls keiner, der sich nachdrücklich ins Gedächtnis einprägte. Wo gab es denn so was?
Stattdessen rief sie die Technik an. Umsonst. Die Technik wusste auch von nichts. Das kannte ich von der Telekom. Nur dass es da nicht umsonst war, sondern auch noch kostete – zumindest Zeit.
Plötzlich meldete sich die Stimme am Telefon wieder: »In welchem Gebäude sind Sie denn jetzt? Im roten Backsteinbau?«
Ich musste zugeben, dass mich die Frage etwas überforderte.
»Sind wir hier im roten Backsteinbau?«, reichte ich die Frage an die Frau von der Auskunft weiter.
Sie antwortete mit einer Gegenfrage: »Im roten Backsteinbau?«
Allmählich drohte ich, die Geduld zu verlieren. Ich war schon fast im Begriff nach draußen vor das große Eingangstor zu laufen, um mich selbst davon zu überzeugen, wo wir uns befanden. Doch mein Stolz als aufmerksamer, mit offenen Augen durch die Welt gehender Künstler fühlte sich plötzlich herausgefordert. Ich zwang mich zur Konzentration, so als stünde ich als Zeuge vor Gericht – ein Vergleich, der ja nicht völlig abwegig war –, und sogleich fiel mir ein: »Nein, das Gebäude, das ich betreten habe, hat eine helle Fassade aus massivem Stein. Ich bin hier noch ganz in der Nähe des Haupteingangs.«
»Dann fragen Sie nach der Cafeteria,« ertönte es verheißungsvoll durchs Telefon. »Da finden Sie schon jemand vom Team.«
Zwischenzeitlich hörte ich, wie sie mit einer anderen Person über mich sprach: »Der Schauspieler, der den Richter spielt, findet die Crew nicht. Jetzt irrt er irgendwo im Gebäude herum ...«
Das traf den Sachverhalt nur in etwa. Noch befand ich mich im Eingangsbereich und hätte jederzeit wieder hinausgefunden.
»Gibt’s hier eine Cafeteria?«, wandte ich mich erneut an die Dame von der Auskunft.
Zum ersten Mal trat ein Anflug von Lächeln in ihr Gesicht und durchbrach ihren Panzer aus abweisendem Misstrauen, berufsmäßiger Freundlichkeit und gewöhnlicher Routine, mit dem sie mich bisher gemustert hatte. Ich kam mir fast schon wie ein Scharlatan vor, der sich einen unbotmäßigen Scherz mit ihr erlaubte.
Lediglich mein anfängliches, beherzten Auftreten und Insistieren, verstärkt durch die Termine für Maske und Kostüm, die mir im Nacken saßen, hatten ihre möglichen Zweifel an meiner Person ansatzweise verdrängt. Doch je länger die Situation andauerte, umso unsicherer wurde ich mir. Was, wenn ich nun wirklich im
Weitere Kostenlose Bücher