STYX - Fluss der Toten (German Edition)
mich anzog. Damit konnte ich wieder Verbindung zur Filmcrew aufnehmen, meinem einzig verbliebenen Vorposten zur realen Welt. Die junge Frau würde, nein, sie musste mir gestatten, ihr Handy zu benutzen, egal, wie fremd ich ihr war oder wie ungelegen ich ihr mit meinem Wunsch käme.
Bevor ich noch das Wort an sie richten konnte, hatte auch sie mich von weitem erblickt. Zögernd, mit fragenden Augen, trat sie einen Schritt auf mich zu.
»Sind Sie Herr ...?«
Sie nannte meinen Namen.
Ich stutzte kurz und bestätigte, immer noch heillos durcheinander, ihre Frage.
»Wir erwarten Sie schon ...«
Mir war, als begänne der Boden unter meinen Füßen zu schwanken. Ich ruderte mit den Armen, stürzte fast und sank dann, die Besinnung verlierend, an ihre schützende Brust, wie von Engelshänden getragen.
Nein, das tat ich natürlich nicht. Aber ich wünschte mir, ich hätte es getan, mit großer, sie umschlingender Geste!
Der einzige sichtbare Engel, der mich hätte auffangen können, wäre sie gewesen, abgesehen von den leblosen, nackten Figuren, die Bestandteil der nahen Brunnenkonstruktion waren, zumeist um eine im Zentrum befindliche Säule herumtänzelnd, bis auf die eine größere Figur, die den oberen Teil der Säule abschloss.
Doch wer weiß, ob meine Retterin mich nicht knallhart auf den Steinfußboden hätte aufprallen lassen, so beschäftigt wie sie war, die frohe Botschaft meiner Ankunft zu vermelden.
Sie ließ mir nicht den Hauch einer Chance, ihr meine eben noch verzweifelte Lage zu schildern, und sei es nur, um einen Hinweis zu erhalten, wie es dazu kommen konnte. Für Erklärungen war jetzt keine Zeit. Sie nahm mich an der Hand – bildlich gesprochen – und führte mich, immer mit einem Ohr am Handy, durch das verschlungene Gängesystem in Richtung Drehort.
Wir wechselten sogar, einen überdachten Übergang im Freien passierend, von einem Gebäude in ein anderes. An ihrer Seite fühlte ich mich sicher und geborgen, egal, wie weit wir noch zu gehen hatten. Sie verfügte über die nötigen Kenntnisse und Verbindungen, nicht zuletzt durch das Handy, das sie bei sich trug. Damit konnten wir aus jeder misslichen Lage befreit werden – vorausgesetzt, die Batterien waren aufgeladen. Doch auch in dem Punkt vertraute ich ihr: wem, wenn nicht ihr, meiner Retterin?
Und da war es endlich, das eingangs erwähnte rote Backsteingebäude; Mausoleum meiner verwinkelten, verwickelten Träume. Kein Wunder, dass ich es nicht entdeckt hatte. Hatte ich es überhaupt gesucht?
Nein, ich war vollauf damit beschäftigt gewesen, meinen Rückweg von der Cafeteria zu finden. Was kümmerte mich da dieser verdammte Rotklinkerbau, auch wenn ich ihn gelegentlich durch eins der hohen Fenster wahrzunehmen meinte. Doch zu dem Zeitpunkt wusste ich nicht einmal, in welchem Gebäude ich mich befand. Ich hatte ja keine Möglichkeit, von außen darauf zu schauen.
Selbstbewusst und völlig ihrer Sache sicher, führte mich die junge Frau, vorbei an anderen Crewmitgliedern, die jetzt auf wunderbare Weise einzeln oder in kleinen Grüppchen die Gänge bevölkerten – wo hatten sie sich bloß alle vorher versteckt gehalten? –, die Treppen hinauf und schließlich, vorbei am Gerichtssaal, zu meinem vorläufigen Ziel – dem Kostümraum.
Meine Helferin öffnete die Tür und lieferte mich ab wie eine bestellte, überfällige Ware: Auftrag erledigt!
Nach einem kurzen Abschiedsgruß verschwand sie ebenso schnell wieder, wie sie mich aus meiner misslichen Lage befreit hatte. Kein Wort mehr. Auch kein Wort des Dankes meinerseits. Zu sehr wirkte der Schock noch nach.
Ich stand nun in einem notdürftig für Filmzwecke hergerichteten Büro. Der vordere Teil war frei geräumt worden, um Platz für Kleiderständer, Schuhregale und dergleichen zu schaffen. Alles was nicht benötigt wurde – vor allem überflüssige Tische –, hatte jemand vor das große, fast bis zur Decke reichende Fenster geschoben, so den Zugang blockierend.
Die Luft war stickig und schwül. Draußen hatte es aufgehört zu regnen, wie ich erst jetzt, durch das geschlossene Fenster schauend, bemerkte. Es herrschte eine ungewöhnlich gelassene Stimmung. Mag sein, dass ich spät dran war, aber es schien hier niemand zu kümmern.
Beinah wie unbeteiligt saßen ein Schauspieler und eine Schauspielerin auf Bürostühlen und lasen Zeitung, beziehungsweise in einem Buch. Ein weiterer Schauspieler wurde soeben von zwei Assistentinnen eingekleidet. Die Chefin fehlte noch.
Eine
Weitere Kostenlose Bücher