Succubus on Top
Schmerz war allzu heftig. Im Gespräch mit dem Inkubus hatte ich das begriffen.
Während ich also die Fotos unerwähnt ließ, beichtete ich Seth ansonsten alles. Alles.
Anschließend schwieg er. Er starrte einen nicht-existenten Punkt in der Luft an, das Gesicht erneut völlig ausdruckslos. Nach mehreren Minuten einer schmerzhaften Stille wandte er sich schließlich wieder mir zu.
«Aha. Und, wie war ich?»
Kapitel 18
«Das ist nicht komisch», sagte ich.
«Ich finde, das ist ’ne berechtigte Frage.»
Ich sah ihn an und legte dann die Arme um mich. «Mehr hast du nicht dazu zu sagen?»
«Ich… ich weiß wirklich nicht, was ich sonst noch sagen sollte.»
«Das ist die Stelle, wo du mich anzuschreien hast.»
Er zog die Brauen hoch. «Oh, aha. Ich habe nicht gewusst, dass das Drehbuch dafür bereits geschrieben war.»
«Das habe ich nicht… sieh mal. Ich habe mit jemand anders geschlafen. Und nicht bloß geschlafen. Ich hätte es nicht tun müssen… nicht so, wie ich es mit Menschen tun muss. Das hast du kapiert, nicht?»
«Ja», sagte er, nach wie vor mit tödlicher Ruhe.
«Und ich war nicht betrunken oder so. Angeschickert vielleicht, aber nach wie vor Herrin meiner fünf Sinne.»
«Ja.»
«Also bist du nicht sauer?»
«Im Augenblick ist eher Verblüffung angesagt. Zu entdecken, dass dich jemand verkörpert, ist fast beunruhigender als die Sache mit dem Sex.»
«Er hat dich nicht verkörpert, nicht per se… ich meine, ich wusste, dass er es war.»
«Weiß ich. Trotzdem ist’s unheimlich.»
Als er wieder schwieg, konnte ich ihn bloß ungläubig anstarren. Er fing meinen Blick auf und erwiderte ihn.
«Was willst du?» Das klang diesmal verärgert, beinahe wütend. «Soll ich stinksauer auf dich sein? Würde das… dich bestrafen, oder was? Möchtest du das?»
Ich schwieg und begriff, dass es genau das war, was ich wollte. Ich hatte einmal ein Buch gelesen, wo ein Betrunkener versehentlich ein Mädchen überfahren hatte. Seiner mächtigen Familie war es gelungen, ihn vor dem Gefängnis zu bewahren, und er hatte es verabscheut. Es hatte ihn nach der reinigenden Katharsis einer echten Bestrafung verlangt, er hatte für sein Verbrechen bezahlen wollen. Genau im Moment brauchte ich auch so was.
«Ich verdiene es», sagte ich zu Seth.
Seine Stimme war kalt. «Na ja, sofort werde ich dich nicht bestrafen. Du kannst meine Gefühle nicht diktieren. Tut mir leid.»
Mir wollte die Kinnlade herabfallen, da ich nicht wusste, wie ich mit dieser Wendung der Ereignisse umgehen sollte. Das Läuten meines Handys unterbrach mein Grübeln. Ich warf einen Blick zu meiner Handtasche hinüber und ließ die Mailbox anspringen. Einen Augenblick später klingelte es erneut.
«Du solltest rangehen», sagte Seth zu mir.
Ich wollte mit niemandem reden. Ich wollte mich in einem Mäuseloch verkriechen. Aber ich holte das Handy und sah auf das Display. Unbekannt. Manchmal war das Jerome. Wenn ich nicht antwortete, könnte es sein, dass sich der Dämon hierher teleportierte, und das war so ziemlich das Einzige, was dieses Szenario noch verschlimmern könnte.
«Tut mir leid», sagte ich leise zu Seth, bevor ich den Anruf entgegennahm. Ich wusste nicht, ob ich mich für die Unterbrechung oder für das entschuldigte, was ich mit Bastien getan hatte. «Hallo?»
«Hallo, Georgina. Wyatt hier.»
Ich brauchte einen Augenblick. Aus Dougs Band. «Hallo, wie steht’s?»
«Schlecht. Ich wusste nicht, wen ich sonst anrufen sollte. Ich bin im Krankenhaus, bei Doug.»
Mir blieb das Herz stehen. «Oh, du meine Güte! Was ist passiert?»
«Er hat, äh, ein paar Tabletten genommen.»
«Was für Tabletten?»
«Weiß nicht genau. Aber ein ganzes Röhrchen davon.»
Wyatts Nachricht scheuchte uns ganz schön auf. Es war komisch, wie eine Tragödie Ärger überwinden konnte. Welche ungelösten Probleme uns auch bedrängen mochten, wir schoben sie beiseite, während wir in die Stadt fuhren.
Wyatt hatte mir kurz und knapp den Rest der Geschichte erzählt, während ich eiligst meine Wohnung verlassen hatte. Alec war mit seiner letzten Lieferung nicht rübergekommen. Doug war wieder zusammengebrochen, in jene erschreckende Dunkelheit gestürzt, wie ich es zuvor schon einmal beobachtet hatte. Wyatt wusste nicht genau, was Auslöser für die Überdosis gewesen war. Er gab allem und jedem die Schuld, angefangen von einem Hang zum Selbstmord bis hin zu einem verzweifelten Versuch, den rauschhaften Zustand durch andere Mittel zu erreichen.
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