Suche einen für immer und ewig
Kennenlernen. Bei
manchen Paaren dauert es sogar Monate oder Jahre, bis sie zueinander finden.
|61| Wer aber an den Mythos von der großen Liebe glaubt, die einen wie der Blitz aus heiterem Himmel trifft (oder eben nicht),
der kann sein Leben lang vergebens warten. Oder er versucht, das Entstehen der Liebe zu beschleunigen, so wie es Elke bei
Rainer erlebte:
Beispiel: »Am meisten stören mich seine SMS«, sagt Elke und seufzt. Sie fühlt sich durch die dauernden Nachrichten von Rainer kontrolliert.
»Er will immerzu wissen, was ich gerade mache«, beklagt sich die 29-jährige Medizinstudentin über ihren Verehrer. »Das ist
der beste Weg, um mich loszuwerden.« Warum ist er so aufdringlich? Immerhin kennen sich die beiden doch erst seit sechs Wochen.
Elke und Rainer lernten sich über das Internet kennen und beschlossen nach einigen E-Mails, sich zu treffen. »Wir verabredeten
uns in einem mexikanischen Restaurant«, erzählt Elke. »Wir saßen eineinhalb Stunden da. Ich habe viel zugehört und ihn reden
lassen. Eigentlich bin ich sonst die Vielrednerin, aber ich fand es ganz gut, mehr von ihm zu erfahren.«
Beim Heimfahren ist Elke unentschlossen. Soll sie Rainer wiedersehen? Doch bevor sie den Gedanken zu Ende denken kann, kommt
schon die erste SMS von ihm. Nach fünf Minuten! »Mir hat es gefallen«, schreibt er. »Mir hatte der Abend ja auch gefallen«,
sagt Elke. »Und deshalb bin ich auf ein weiteres Treffen eingegangen.«
Aber Rainer ist ungeduldig. »Ich soll immer Zeit haben, wenn er Zeit hat«, kritisiert Elke, die gerade ein sehr anstrengendes
Semester absolviert, das sie viel Kraft und Zeit kostet. »Er scheint das nicht zu verstehen. Rainer kann mein Bedürfnis, mich
um mein Studium zu kümmern, nicht akzeptieren.«
Rainer hat es nach Elkes Gefühl außerordentlich eilig: »Auf mich wirkt es so, als ob es ihm am liebsten gewesen wäre, wenn |62| ich nach drei Wochen schon bei ihm eingezogen wäre.« Elke geht es viel zu schnell. Seine Ungeduld befremdet sie. Warum kann
er ihrem Kennenlernen nicht ein wenig Zeit und Raum geben? Warum diese Eile? Ihre Vermutung: »Er ist ein sehr unsicherer Mann
– deshalb drückt er so auf die Tube.«
Rainer will Klarheit um jeden Preis und sieht sich außerstande, ein paar Wochen oder Monate zu werben und der Liebe Zeit zu
lassen, sich zu entwickeln – auch wenn er durch seine Eile möglicherweise die Chancen verspielt. Dabei sind Elkes Motive für
eine langsamere Gangart gut zu verstehen. Sie ist schon einige Jahre Single und möchte sich Stück für Stück auf eine neue
Beziehung einlassen. Momentan fordert aber ihr Studium viel Zeit und Energie.
Elke überlegt, was sie tun soll. Doch da erhält sie schon wieder eine SMS: »Was machst du gerade? Ich konnte dich nicht erreichen«,
schreibt Rainer. »In dem Moment war mir klar, dass es mit ihm und mir nichts werden konnte«, sagt Elke. »Wir beide passen
nicht zueinander«, schreibt sie zurück. Und er antwortet prompt: »Wenn du meinst.«
Was als Cyberromanze im Internet begann, endet, wie so mancher Flirt heute endet: durch ein Lebewohl per SMS. Auch das zeigt,
wie wenig Substanz diese Liebe hat, wie wenig Zeit ihr zum Aufblühen gegeben wurde. Wer wie Rainer schon so kurz nach einem
Rendezvous anfängt zu klammern und zu drängen, der kann die Unsicherheit, die solch ein Treffen zwangsläufig nach sich zieht,
nicht gut aushalten und muss sie durch Aktionismus überdecken.
Gerade Menschen, die unter einem geringen Selbstwertgefühl leiden, neigen zu einem allzu forschen Vorgehen in der Liebe. Sie
verbergen ihre Unsicherheit unter dem Deckmantel eines mutigen Draufgängertums. Wenn ein 15-Jähriger unmittelbar |63| nach einem Rendezvous eine SMS an seine Angebetete schickt, ist das verständlich, weil er noch jung ist und entsprechend unsicher.
Von einem Erwachsenen erwarten wir dagegen mehr Besonnenheit.
Die Wahrheit: Liebe kennt keine Mindestgeschwindigkeit
Manche Menschen lassen sich sogar besonders viel Zeit, um einander in Muße kennen zu lernen. Das hat große Vorteile: Eine
langsame Annäherung schafft Vertrauen und vermittelt uns die Sicherheit, dass der andere es ernst mit uns meint. Außerdem
bekommen wir Gelegenheit, uns ein genaues Bild vom anderen zu machen, von seinen Einstellungen, Erfahrungen, Lebensgewohnheiten
und -zielen. Eine langsame Annäherung hilft außerdem, sich eigener Wünsche und Gefühle klar zu werden und
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