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Suche nicht die Suende

Suche nicht die Suende

Titel: Suche nicht die Suende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meredith Duran
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jedenfalls für eine gewisse Zeit, ein gezähmtes kleines Haustier zu sein.
    Natürlich hielt das nicht lange an. Ich wurde größer. Meine Lungen überholten meine Gliedmaßen. Ich wurde mutiger und beschloss, zur Schule zu gehen. Ich habe gebettelt und argumentiert und gefleht und verlangt, dorthin gehen zu dürfen. Sie haben es abgelehnt. Aus Liebe, zweifellos. Ich bin wütend geworden. Ich bin weggelaufen. Sie haben mich eingefangen und in mein Zimmer gesperrt, um mich in Sicherheit zu wissen. Nur aus Liebe, verstehst du? Sie haben Heverley End zu einem Gefängnis gemacht, mit Schlössern, die einen drinnen einsperrten. Und sogar dann noch – sogar
dann
– wusste ich, dass ihre Entscheidungen und die Beschränkungen, die sie mir auferlegten, ihnen notwendig zu sein schienen. Weil sie mich liebten. Sie hielten mich dadurch am Leben, dachten sie. Und ich habe ihnen das nie vorgehalten oder ihnen Böses gewünscht. Aber es waren einige sehr spektakuläre Drohungen nötig, um mir endlich das Recht zu erobern, nach Eton zu gehen. Und ich finde es noch immer schwierig – so wahnsinnig schwierig, Gwen –, an Liebe und Fürsorge zu denken, ohne mich zuerst daran zu erinnern, auf wie viele Arten man ersticken kann.«
    Reglos saß sie da, während er schwieg. Seine Worte waren aufrichtig gewesen. Sie klangen wie eine Totenglocke in ihrem Herzen.
    Gott im Himmel. Sie hörte einfach nicht auf, sich die falschen Männer auszusuchen.
    Endlich brachte sie ein Lächeln zustande. »Aber wie gut bist du trotz alldem zu deiner Familie. Die Zwillinge bewundern dich. Du hast ihnen niemals etwas abgeschlagen, Alex.«
    »Es ist einfacher, ihnen nichts abzuschlagen«, sagte er mit unverblümter Klarheit. »Sie bitten nur um kleine Dinge, weil sie, glaube ich jedenfalls, Angst haben, um mehr zu bitten. Was für ihr Wahrnehmungsvermögen spricht, aber nicht so sehr für mich. Und vielleicht spricht es auch nicht für mich, dass ich sie nur bei Laune halte, weil ich Angst habe, dass sie mehr von mir verlangen könnten. Ich stelle sie lediglich mit kleinen Happen zufrieden. Hin und wieder verbringe ich einen Feiertag mit ihnen, und ihre Kinder bekommen Geschenke von mir. Gelegentlich tauche ich zum Dinner bei ihnen auf. Solange ich all das tue, lassen sie mich zufrieden. Würde ich das nicht tun, könnten sie womöglich ärgerlich werden und Größeres verlangen. Meine Gesellschaft. Eine Rolle im Leben ihrer Kinder zu spielen. Verpflichtungen.«
    Er entwarf eine Vision, die Gwens Vorstellung von Familie ziemlich genau entsprach. »Wäre das so schrecklich?«, wisperte sie. »Verlierst du nicht etwas, wenn du dich fernhältst? Wirst du das nicht irgendwann bereuen?«
    »Ah.« Sein Lächeln wirkte fahl. »Damit wären wir bei der Frage, die zu stellen ich mir nie gestattet habe. Ich sage mir, dass ich nicht mehr will, als ich habe. Aber« – sein Lächeln schärfte sich und wirkte jetzt entschieden unfreundlich – »ich beginne zu glauben, dass das genau die Philosophie ist, gegen die ich als Junge aufbegehrt habe. Ich habe meine Eltern angeklagt, mich begraben zu haben, um mich vor dem Grab zu bewahren. Mich eingesperrt zu haben in diesem traurigen kleinen Haus an der Küste, weil es sicherer war als zu riskieren, mich zur Schule zu schicken und
leben
zu lassen.«
    Er sah sie direkt an. »Ein Risiko zu vermeiden, weil es etwas fordern könnte«, sagte er. Sein Blick suchte ihren, und zwar eindringlich. »Das ist eine zu traurige Rechnung, um sie mit der Liebe anzustellen, nicht wahr? Es bedeutet, die Liebe gegen die Angst abzuwägen. Das ist es, was ich immer abgelehnt habe. Und jetzt bin ich hier, und tue genau das. Ich denke, es ist höchste Zeit, dass ich damit aufhöre.«
    Langsam nickte sie. »Und das … ist auch der Grund, warum du Gerard hilfst?«
    Er lachte. Es war ein kurzes überraschtes Lachen, dann legte er den Kopf schief und sah sie mit diesen wunderschönen Augen an. »Ich habe nicht von Gerard gesprochen«, sagte er. »Weit davon entfernt.«
    Gwen runzelte die Stirn. Und dann durchlief sie ein Schauder, und sie rückte langsam von ihm weg. Er sprach nicht mehr von Gerard …
    »Auf jeden Fall ist es eine starke Gewohnheit, mit der man bricht. Ich habe eine Strategie entwickelt, nachdem meine Lungen sich selbst geheilt hatten. Du wirst es im Laufe der Jahre bemerkt haben: Ich habe mir geschworen, nie von jemandem abhängig zu sein. Dass ich jede Anstrengung auf mich nehme, um jede Situation zu vermeiden, in der das von

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