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mit Steinar Olsen gesprochen hat. Mit seinen letzten Kräften – trotz der unerträglichen Schmerzen, die er gehabt haben muss – hat er sagen können, dass er seine Tochter mitgenommen und sie in der alten Zeche versteckt hat. Das war das Letzte, was er in seinem Leben getan hat, er hat versucht, seine Tochter zu retten. Leider war es Frøydis Hanseid, die es erfahren hat. Und sie hat diese Information für sich behalten, fast vierundzwanzig Stunden lang – weil sie nicht verraten wollte, dass sie diejenige gewesen ist, die das Loch in den Benzintank geschlagen hat. Kapiert ihr jetzt? Diese Person, die euch so schrecklich leidtut, ist bereit, ein kleines Mädchen sterben zu lassen, um sich selbst zu schützen!«
»Nein, jetzt muss ich aber wirklich protestieren. Nur weil die Ermittlungen nicht weiterkommen, muss die Verzweiflung nicht in Irrsinn umschlagen.« Anne Lise Isaksen war wieder aufgestanden. »Seht ihr denn nicht, dass Frøydis Hanseid krank ist? Sie weiß nichts. Es ist doch Quatsch, sie weiter zu quälen. Ich kann – als Regierungsbevollmächtigte und damit hier auf Spitzbergen als Verantwortliche für die Polizeiarbeit – nicht zulassen, dass die Vernehmung weiter durchgeführt wird. Sie muss nach Hause und braucht die Betreuung durch einen Arzt. Sonst kann das noch verdammt schiefgehen.«
»Wenn unsere Polizeiarbeit überhaupt einen Sinn haben soll, dann muss Frøydis Hanseid wegen fahrlässiger Tötung angeklagt werden.« Er saß ruhig auf seinem Stuhl, sprach leise, aber mit einer Stimme, die die Diskussion durchschnitt.
»Aber das war kein Totschlag. Das war ein Unfall. Wenn Steinar Olsen auch nur eine Minute später gekommen wäre, dann wäre der Benzintank in dem Bergerudschen Auto bereits geleert und das Benzin in den Schnee ausgelaufen gewesen, und die Glut der Zigarette hätte höchstwahrscheinlich das Benzin gar nicht entzünden können. Das hat Otto Karlsen selbst gesagt, und dem vertraut ihr doch wohl? Und außerdem, Frøydis Hanseid kannte Steinar Olsen so gut wie gar nicht. Sie konnte nicht wissen, dass er kommen würde.«
Lund Hagen strich sich mit beiden Händen über den Kopf und sah die Regierungsbevollmächtigte flehentlich an. »Lasst uns noch einmal mit ihr sprechen. Wenn wir Ella Olsen nicht bald finden, kann es zu spät sein. Wie lange ist sie jetzt schon allein? Fast vierundzwanzig Stunden. In einem verlassenen Kohlenschacht.«
»Wer ist denn mit ihr im Besprechungszimmer? Niemand?« Jan Melum schaute Lund Hagen an. Mit ruhigem Blick, aber schwarzen Augen.
Tom Andreassen schaute von einem zum anderen. »Du glaubst doch nicht, dass … Schließlich ist er Polizist, Erik, meine ich.«
»Ich erlaube keine weitere Vernehmung von Frøydis Hanseid, bis sie von einem Arzt untersucht wurde.« Anne Lise Isaksen hatte ihre Entscheidung getroffen und öffnete die Tür zum Flur. Mit der Hand auf der Klinke drehte sie sich noch einmal um. »Knut ist zum Schacht sieben hoch. Er hat das Tagebuch mitgenommen. Wenn Ella Olsen wirklich in der Zeche ist, dann wird er sie finden. Er lässt nicht so schnell locker, der nicht.«
Lund Hagen ließ sich auf einen der Stühle fallen und schaute auf seine Hände. »Knut Fjeld ist tüchtig, das wissen wir von früher. Und mutig. Ich glaube, du hast Recht mit deiner Vermutung, dass er sie finden wird. Aber wird er noch rechtzeitig kommen?«
»Wenn Ella Olsen tot ist, dann hat Frøydis Hanseid zwei Menschen im Laufe von nur einer Woche getötet. Sie ist weder so krank noch so hysterisch und schon gar nicht so ungefährlich, wie ihr anscheinend glaubt. Line Bergerud war ja wohl ihr ausgesuchtes Opfer. Aber dann stirbt jemand anderes. Und sie hat sich trotz allem wie eine Mörderin verhalten, gedacht wie eine Mörderin. Das ist es, was ich versucht habe, euch klarzumachen. Und wenn ihr sie damit durchkommen lasst …« Jan Melums Stimme erstarb in einem resignierten Murmeln.
In den Tagesanlagen zu Schacht 7 herrschte Aufbruch. Der Bus stand mit laufendem Motor vor den Toren bereit, um die Bergleute wieder in die Stadt hinunterzubringen. Drinnen lief der Direktor neben dem Grubenjeep hin und her und telefonierte mit seinem Handy. Er nickte Knut kurz zu, als dieser angelaufen kam. »Ich weiß, warum du hier bist. Tom Andreassen hat schon vor einer Weile angerufen. Er hat gesagt, ich soll dir sagen, dass sie dabei sind, Frøydis Hanseid zu vernehmen.« Er hielt inne und schaute Knut scharf an. »Kannst du mir sagen …« Doch dann brach er ab. »Nun
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