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Regierungsbevollmächtigten?« Ihre Stimme klang irritiert.
»Doch, ja. Sie sprechen mit Knut Fjeld, dem Wachhabenden. Tut mir leid, aber ich bin gerade zu Hause in meiner Wohnung und mache mir etwas zu essen. Die Telefonzentrale ist nicht besetzt, deshalb …«
»Ich weiß. Sonst wäre ich ja nicht zu Ihnen durchgestellt worden. Oder ist das nicht der Notruf?« Es war offensichtlich eine energische Frau, mit der er da sprach.
»Doch, natürlich. Tut mir leid. Worum geht es denn?«
»Nun.« Sie seufzte. »Das ist etwas schwierig. Klingt vielleicht komisch …« Sie zögerte. »Aber wir sind zu dem Schluss gekommen, dass uns nichts anderes übrig bleibt, als Sie zu verständigen.«
Na, komm schon, dachte Knut. Er hatte sich auf einen langen, gemütlichen Abend auf dem Sofa vor dem Fernseher gefreut. Aber er sagte nichts. Oft war Schweigen ein gutes Mittel, um Leute zum Reden zu bringen.
»Ich heiße Ingrid Eriksen und leite den Kullungen-Kindergarten. Und jetzt hat sich herausgestellt … also, wir finden eines der Kinder nicht. Ihre Mutter arbeitet hier. Heute Nachmittag wollte sie ihre Tochter abholen, und da war sie verschwunden. Wir haben den ganzen Kindergarten abgesucht. Und außerdem sind ihre Straßenkleider auch nicht da. Stiefel, Mütze, Schneeanzug und Handschuhe, alles weg.«
Knut fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Er wusste nicht so recht, was er sagen sollte. Es musste eine ganz natürliche Erklärung dafür geben. Kinder verschwanden auf Spitzbergen nicht. Er konnte sich jedenfalls an keinen einzigen Fall erinnern.
»Ich glaube natürlich nicht … ich meine … Longyearbyen ist ja ein kleiner Ort. Und wir wissen genau, wer hier wo wohnt. Wir glauben nicht, dass etwas Kriminelles dahinter-steckt. Aber es ist nur so, dass … dass es so kalt ist. Unter minus zwanzig Grad. Ich mag gar nicht daran denken … Was ist, wenn sie alleine rausgegangen und einen Abhang hinuntergefallen ist oder sich verlaufen hat …«
»Kann sie den Kindergarten auf eigene Faust verlassen haben?« Endlich begannen Knuts Gedanken, in strukturierten Bahnen zu laufen. »Ist sie in der Lage, sich allein anzuziehen?«
»Ja, natürlich. Sie ist bald sechs. Aber unsere Außentüren sind immer verschlossen. Und die Schnappschlösser sitzen so hoch, dass die Kinder nicht drankommen. Und warum sollte sie allein weggehen? Das hat bisher noch keines der Kinder getan. Sie werden immer von ihren Eltern abgeholt oder von jemand anderem, aber in so einem Fall informieren uns die Eltern darüber. Wir sind in dieser Hinsicht sehr streng. Aber …«
»Aber?«
»Es ist möglich, dass ihr Vater sie abgeholt hat, ohne sich bei uns zu melden.«
»Wenn der Vater das Kind abgeholt hat, dann ist sie doch wohl nicht vermisst, oder? War ihre Mutter denn schon zu Hause und hat nachgesehen, ob die beiden dort sind? Von wem reden wir eigentlich?«
Ingrid Eriksen seufzte erneut. »Wir haben zu Hause angerufen. So dumm sind wir ja nun auch wieder nicht. Der Vater heißt Steinar Olsen. Er ist Bergwerksingenieur bei Store Norske. Es ist seine Tochter Ella, die verschwunden ist. Ihr wart nach Weihnachten ein paar Mal bei ihnen. Wegen Familienstreitigkeiten, erinnern Sie sich nicht mehr?«
Offensichtlich glaubte niemand in Longyearbyen, dass im staatlichen Verwaltungsbüro auf so etwas wie Schweigepflicht und Datenschutz geachtet wurde. Wie die meisten ständigen Bewohner ging die Kindergartenleiterin davon aus, dass die Verwaltungsbeamten die Details sämtlicher Fälle kannten, die von der Polizei bearbeitet wurden. Und Knut war tatsächlich schon einmal bei Steinar Olsen in offizieller Mission unterwegs gewesen. Aber nicht wegen eines Familienstreits.
Sie fuhr fort: »Leider haben diese Besuche nichts genützt. Erst gestern war er wieder so betrunken, dass er Möbel zertrümmert hat und die Treppe runtergefallen ist – ohne dass ihr gerufen wurdet. Das letzte Mal waren es die Nachbarn, die sich gemeldet haben, Tone ist ihrem Mann gegenüber viel zu loyal, um die Polizei zu rufen. Außerdem schämt sie sich sicher. Wir haben versucht, ihr klarzumachen, dass häusliche Streitigkeiten auch die Tochter beeinflussen. Und gestern hat sie endlich die Scheidung verlangt, und das endete dann in Gewalt und Drohungen. Deshalb ist sie überzeugt davon, dass Steinar Ella im Kindergarten abgeholt hat, ohne etwas zu sagen. Um ihr Angst zu machen.«
»Dann bittet Tone Olsen also um Hilfe und möchte, dass die Polizei mit ihr nach Hause kommt? Um die Lage
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