Suche: Roman
der Trawler vom Eisrand weg. Kristian atmete erleichtert auf. »So, das war’s. Jetzt müssen wir zusehen, dass wir auch verschwinden. Dann kann die Regierungsbevollmächtigte uns mal gern haben. Denn hier ist niemand mehr, wenn sie hier landen.«
Mehrere Stunden zuvor war der Flughafentower in Longyearbyen voller Menschen gewesen. Der diensthabende Funker stand an seinem Arbeitstisch am anderen Ende des Überwachungsraums und hielt sich aus der Diskussion raus. Es war der Meteorologe, mit dem die Besucher sprechen wollten, Tor Bergerud, Erik Hanseid und ein Forscher vom Polarinstitut. Der Meteorologe schob sich die Brille auf die Stirn, kratzte sich im Nacken und studierte das letzte Satellitenbild, das er ausgedruckt hatte. »Das sieht ganz okay aus. Das Tiefdruckgebiet ist in den letzten Tagen ziemlich langsam vorangekommen. Ny-Ǻlesund ist gestern davon zwar berührt worden, aber es sieht so aus, als würde es sich jetzt wieder Richtung Nordosten bewegen.«
Tor Bergerud zog die Langzeitvorhersage zwischen all den Papieren hervor, die auf dem Schreibtisch lagen. »Keine Unwetterwarnung?«
»Nein. Aber sie haben von der Station bei der Vervarslinga angerufen und gesagt, dass es einen polaren Tiefdruck geben kann. Und solche Tiefdruckgebiete sind immer schwer einzuschätzen. Außerdem können sie sehr heftig sein. Aber wir haben ja keine Messstationen oben im Norden und nur wenige Daten für unsere Wettermodelle, deshalb muss man es nehmen, wie es kommt.«
»Tja, was meinst du?« Der Hubschrauberpilot schaute zu Erik Hanseid hinüber. »Ist der Auftrag so wichtig, dass er durchgeführt werden soll, auch wenn das Risiko für schlechtes Wetter besteht?«
»Nun …« Hanseid wusste nicht so recht, was er sagen sollte, aber er kam gar nicht so weit. Der Rentierforscher vom Norwegischen Polarinstitut unterbrach ihn. »Dieses Mal haben wir die Chance, sie auf frischer Tat mit gewildertem Rentier und vielleicht auch noch Schmugglerware zu erwischen. Und es ist das erste Mal, dass wir so nahe dran sind. Lass uns losziehen, verdammt noch mal. Schließlich ist es ja ein Super Puma, oder? Der wird doch wohl ein bisschen Wind vertragen?«
Der Funker wusste nur zu gut, was er dazu gesagt hätte. Aber ihn fragte niemand. Er schüttelte den Kopf und schaute den Männern nach, als sie den Kontrollturm verließen. »Warum hast du nichts gesagt?«, fragte er, an den Meteorologen gewandt. Doch der schaute weg. »Es ist nicht unsere Aufgabe, den Leuten zu sagen, was sie tun sollen. Sonst haben wir nachher noch die Verantwortung. Wir erzählen ihnen nach bestem Wissen, wie sich das Wetter unserer Meinung nach entwickeln wird. Aber letztendlich ist es der Hubschrauberpilot, der entscheidet, ob er fliegt oder nicht.«
Auf der Schalttafel knisterte es im UHF-Funk: »Lima November, Oscar Tango Golf. Bereit zum Abflug mit Ziel Gråhuken, Mosselbukta und Hinlopenstraße. Fünf Personen an Bord. Berechnete Flugzeit drei Stunden und dreißig Minuten …« Kurz darauf war der Hubschrauber in der Luft und verschwand aus dem Blickfeld. Magnor verfolgte seine Spur auf dem Radar, so lange er konnte.
Der Rentierforscher war als Passagier mit im Hubschrauber, nicht als Auftraggeber. Normalerweise hatte das Norwegische Polarinstitut keine Mittel, um lange, teure Erkundungsflüge zu bezahlen. Außerdem fand die Rentierzählung im Frühling statt, wenn das Licht wiedergekommen war und die Schneescooterspuren gut erkennbar waren. Aber der Forscher wusste, wo sich die Rentiere wohl ungefähr aufhielten, und speziell die Herde, von der er fürchtete, dass sie durch das Wildern stark gefährdet war.
Sie suchten an mehreren Punkten im Nordosten nach den Tieren. Die Scheinwerfer an der Unterseite des Hubschraubers fegten über die dunkle Landschaft hinweg. Aber sie fanden keinerlei Spuren von Rentieren, und nach der vergeblichen Suche an den Felshängen, wo der Forscher die Herde zuletzt gesehen hatte, richteten sie wieder ihren Kurs gen Norden.
Es war der Copilot, der lenkte. Er war neu und brauchte Erfahrung. Der Hubschrauber schaukelte und zitterte in den Turbulenzen um die Gebirgsspitzen, aber dennoch saß Tor Bergerud mit halb geschlossenen Augen da, während die übrigen Fluggäste durch die Fenster auf das schwarzweiße menschenleere Terrain starrten und sich langweilten. Ein belangloses Gespräch wurde verhindert, weil alles, was gesagt wurde, wegen des Lärms der Propeller über den internen Bordfunk gehen musste und so von allen gehört
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