suchen Gespenster
einen Atlas, dazu Frau Theobalds Plan.
„Na, so ganz nahe an Lindenhof liegt die Burg nicht“, meinte der Vater. „Ich schätze: fast eine Stunde Autofahrt entfernt.“
„Bringt ihr uns hin oder sollen wir mit dem Zug fahren, wie es hier angegeben ist?“, fragte Nanni.
„Wir bringen euch hin“, versicherte der Vater. „Schließlich möchten wir die Burg auch besichtigen.“
Vierzehn Tage hatten sie noch Zeit bis zum Schulbeginn.
„Ein Brief von Bobby“, verkündete Hanni eines Morgens. „Sie ist genauso gespannt auf Burg Funkelstein wie wir.“
Die Zwillinge schrieben sofort an die anderen Freundinnen. In Vaters Bücherei suchten sie nach einem Band über alte Burgen.
„Hier, sieh bloß“, rief Nanni aufgeregt, „Burg Funkelstein am Walde, eine interessante Anlage: Ein neuerer und ein älterer Bau, das sogenannte Unter- und Oberschloss, sind durch eine sehr alte Höhlenburg verbunden. Hanni, das muss unser Funkelstein sein. Sieh es dir an.“
„Na, sehr stolz schaut es nicht gerade aus“, meinte Hanni trocken. „Kein Turm, nur ein paar Mauern mit Zinnen ... Ich habe es mir viel romantischer vorgestellt.“
„Aber lies doch: eine interessante Anlage!“, antwortete Nanni. „Na bitte, hier im Text steht auch: Der mittlere Teil, die Höhlenburg, ist buchstäblich in den Sandsteinfelsen hineingehauen. Es handelt sich um die Festung eines gefürchteten Raubrittergeschlechtes. Vor der Erbauung des Unterschlosses – des neuesten Teiles also – waren die Höhlen nur über einen schmalen Felsensteig zu erreichen. Der konnte mühelos überwacht werden und bot deshalb Feinden keine Möglichkeit zum Eindringen.“
„Das steht da?“, fragte Hanni. „Eine richtige Raubritterburg? Großartig!“
Je näher die Abreise kam, desto zappeliger wurden die Zwillinge. Wer konnte schon in einer echten Raubritterburg wohnen? Wunderdinge erzählten sie den Bekannten im Dorf und die schüttelten nur den Kopf. Wie konnten Sullivans die Mädchen in solch eine Schule schicken?
Endlich war der Abreisetag gekommen. Sie brachen zeitig auf, damit die Eltern noch am gleichen Tag heimfahren und trotzdem alles genau anschauen konnten.
„Weißt du noch, wie wir zum ersten Mal nach Lindenhof fuhren?“, erinnerte Nanni die Schwester.
„Freilich! Damals interessierte uns die Schule überhaupt nicht, weil wir schnell wieder wegwollten.“
„Und nun wird es schon unser drittes Jahr“, sagte Nanni nachdenklich. „Mir kommt es sogar noch länger vor. Wir haben in den letzten Jahren viel erlebt.“
„Dort geht es nach Lindenhof“, rief Hanni plötzlich. „Da bist du immer von der Hauptstraße abgebogen, Papi.“
„Ich weiß.“ Er nickte. „Jetzt kommt also Neuland für uns alle.“
Eifrig sahen die Schwestern sich um. „Ein See!“ – „Und da hinten schon wieder einer.“ – „Dort scheint sogar ein Fluss zu sein, schaut nur, bei den hohen Bäumen.“
„Was für Bäume sind das?“, fragte die Mutter.
„Pappeln wahrscheinlich“, antworteten die Zwillinge.
„Mit hohen Nestern drauf“, setzte der Vater hinzu. „Es werden wohl Reiherhorste sein.“
„Aber wenig Wald ist hier“, meinte Hanni, „und in deinem Bildband stand doch ‚Burg Funkelstein am Walde’.“
„Vielleicht wurde der Wald besonders erwähnt, weil er in dieser Gegend selten ist“, erklärte ihr der Vater. „Wenigstens vermute ich das.“
Nun hielten sie nach dem Wald Ausschau. Die Burg musste ja gleich daneben stehen.
„Da!“ Mehr brachte Nanni nicht heraus und Hanni verschlug es überhaupt die Sprache. Kein Vergleich mit dem Bild! Darauf hatten sie ja bloß die Burg gesehen. Aber diesen Anblick hatten sie nicht vermutet: Weites, flaches Land lag hinter einem Waldstück. Zwei große Straßen kreuzten sich, eine führte über einen Fluss, die andere lief parallel zum Wasser. Die Burg aber stand auf einem hohen Felsen, der ganz unvermittelt aus der Ebene aufragte. Ja, von dort aus konnten die Raubritter das ganze Land überblicken, niemand konnte unbemerkt die Straße entlangziehen.
„Und dann raus aus dem Busch!“, rief Nanni. „Und wenn die Überfallenen noch Widerstand leisteten, dann – zack, zack! – fort mit ihnen!“
„Nanni“, rief Frau Sullivan entsetzt, „was fantasierst du da für grausame Sachen zusammen!“
„Na ja, Mami“, antwortete Hanni ungerührt, „glaubst du etwa, die Burgfräulein von damals hätten Mitleid gehabt mit den Gefangenen oder Erschlagenen?“
„Das kann ja reizend
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