Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs
für einen »shot«, die übliche Warenbezeichnung für einen schnellen Fick. So redete sie.
Die meisten aber warteten. Auf nichts, verdösten ihr Leben in bodenloser Monotonie, griffen nach der Chang’aa-Flasche, rauchten Bhangi-Joints, saßen. Waren da und waren tot. Mathare funktionierte als Höllenmaschine, in der sich Mord, Totschlag, Aids und die Sinnlosigkeit um den ersten Platz als Todesursache stritten. Nur ihr Zorn auf den Staat verband sie, alle wussten sich verraten und schlugen zurück, wenn die Polizei wagte, hier vorbeizukommen. Die mörderischen Übergriffe, die Kenia Anfang 2008 heimsuchten, hatten nur zum Teil mit alten Fehden zwischen verschiedenen Ethnien zu tun. Sie waren auch ein Zeichen von Hass auf dieses Leben. Das keiner rettete, das sich wohl nur dann noch am Leben fühlte, wenn es in rasender Wut anderes Leben zerstörte.
Doch einen fand ich, und der war anders. Nichts konnte ihn abbringen von seinen Prinzipien, keiner korrumpierte ihn. Sein Bügelbrett stand vor dem Eingang zu seiner Blechbaracke, drei Schritte von einem Wasserpfuhl entfernt. Moses war ein glücklicher Schneider. Er bejahte, auch dann noch, als ich ihn bat, über die Bedeutung des Wortes happy nachzudenken. »Yes, I am.« Alles an diesem Menschen war absurd. Sein Glücklichsein, seine Arbeit, seine Unbekümmertheit den lauernden Moskitos gegenüber. Mit wundersam langen Fingern strich er über Stoffe, fuhr mit dem warmen Eisen hinterher. Eine Bügelfalte in Mathare. Erst nach zwei Dutzend Hosen konnte ich mich losreißen. Hier kämpfte einer gegen das abwaschbare Wort Mensch.
WILDFREMDE UNTER SICH
Welcome to New Orleans. Als ich nachts durch die O’Keefe Street schlenderte, brauste mit Blaulicht ein Polizist auf mich zu. In zehn Metern Entfernung bremste er seine Harley Davidson und bellte: »Stopp! Keine Bewegung!« Routiniert richtete er den Suchscheinwerfer auf mich und fragte im Tonfall des leiderfahrenen Sheriffs: »Was tragen Sie an Ihrer rechten Seite?«
New Orleans hatte ein »crime problem«, seit langem, ach, seit immer. Newsweek sprach einmal von den »scumbags«, die die Stadt das Fürchten lehrten. Dass man jedoch heute Nacht einen Bewunderer der Stadt als »Drecksack« verdächtigte, schien mir leicht übertrieben.
Dennoch, wir einigten uns. In meiner schwarzen Gürteltasche befand sich keine AR-15 , nur eine Brille (kennt einer bebrillte Gangster?) und ein Notizblock. Der Sheriff nickte gelangweilt, bellte wieder: »Move on«, ich war entlassen.
Der nächste Morgen wurde wunderbar friedlich, schon um sieben Uhr strich ich an den Fassaden des alten französischen Viertels entlang, suchte nach der Hausnummer 332 1/2. Als ich davorstand, fragte ich eine Frau, die gerade ihren Laden öffnete, ob das hier die ehemalige Adresse von Tennessee Williams wäre. »Tennessee who?« Ich segnete das dumme Weib und entdeckte eine unscheinbare Plakette, die bestätigte, dass hier einmal ein Gigant der Weltliteratur gewohnt hatte. Oben im zweiten Stock schrieb er vor über sechzig Jahren A Streetcar Named Desire , inspiriert von der Straßenbahn, die über die nahe Royal Street kreischte und Richtung Desire fuhr, ein Stadtviertel.
All over. Seit langem hatten Busse die Strecke zur »Endstation Sehnsucht« (längst zu einer infam gefährlichen Siedlung verwahrlost) übernommen, war der berühmte Schriftsteller (die letzten Lebensjahre drogensüchtig) an einem versehentlich verschluckten Flaschenverschluss erstickt, war Marlon Brando (mit der Rolle des sinnlich-brutalen Stanley Kowalski in Williams’ Theaterstück weltberühmt geworden) an Fettsucht verröchelt.
Eine herausfordernde Stadt. Ich wurde noch immer nicht als Bewunderer akzeptiert. Am dritten Abend begegnete ich wieder der Polizei. Und diesmal war ich es, der sie aufsuchte.
Als ich um ein Uhr nachts zu meinem Motel zurückkehrte, bemerkte ich vor meiner Tür (Zugang direkt von der Straße), dass ich den Schlüssel vergessen hatte. Ich wohnte in einer budget accomodation , ein Rezeptionist nach Mitternacht wäre wohl zu teuer gewesen. Als ich am Fenster des Nebenzimmers klopfte – der Nachbar und ich teilten die Dusche –, begann ein Crashkurs in Sachen amerikanische Gesellschaft. »What the fuck you want?«, schallte es mir entgegen. Nicht unfreundlich, eher ängstlich. Denn um diese Uhrzeit meldeten sich nur Nutten oder Killer. Da er eine männliche Stimme vernahm, musste ich der Killer sein.
Ich versuchte, den Mann zu überzeugen, dass ich heute
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