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Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Titel: Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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der Ihren. Die nächsten sechs Predigten redeten nur noch von Lug und Trug und der »hypocracy« der amtlichen Großkirchen. Aus den sechs wurden achtzehn Sonntagsreden, da zuerst auf Luo, dann wieder auf Suaheli und zuletzt – nimmermüde Gastfreundschaft – auf Englisch.
    Am Schluss – inzwischen war es 12.45 Uhr, sprich, dreieinhalb Stunden sind vergangen – versprachen wir uns alle, dass jeder besser werden soll. Nicht Lüge sollte mehr sein und nicht Schein, nicht »Ehebruch«, nicht »Ehekrach«, auch nicht »Faulheit« und »Korruption«. Dann begann der Showdown. Einer sagte »Jesus is love« und die Erde fing zu vibrieren an. Dreißig Beine stampften den Boden, schluchzende Gesichter, glänzende Nacken, irre, weit entfernte Blicke. Die schimmeligen Bretterwände des Schuppens wurden zur Klagemauer, gegen die sie jetzt ihre sündigen Körper rannten. Kniefälle, stammelndes Hersagen von Bibelsprüchen, aus zwei Ecken das toderschreckte Geplärr der Säuglinge. Achtzehn Menschen in acht Kubikmetern Raum. Sie kochten, sie keuchten, die Suche nach Gott als Urschreitherapie.
    Draußen war Mathare. Die Augen brauchten ein paar Sekunden, um sich wieder an die blaue Sonne zu gewöhnen. Dann sahen sie einen Dreijährigen seine Notdurft verrichten, mitten auf dem Weg. Fliegen wimmelten an seinem Hintern. Das Mathare Valley –neben zwanzig anderen Wohnkloaken der Hauptstadt – galt als Nairobis größter Scheißhaufen. So sagten sie selbst. »Home address: Shit«, meinte Charity grinsend, als sie mir eine Limonade verkaufte. Und mich anschließend in ihre Lehmhütte dirigierte. Schwieriger Zugang. Den Slum überzogen schmale Pfade, in deren Mitte der Kot und Abfall von knapp zweihunderttausend Bewohnern lagerten. Manchmal blieb kein Platz zum Gehen, dann spreizte man die Beine von einer Hausmauer zur andern, stakste am Rande der Exkremente nach Hause. Jetzt war Trockenzeit, gute Zeit. Kam der große Regen, dann wateten sie.
    Charitys Hütte war finster. Fünf Quadratmeter ohne Strom und Wasser, immerhin ein Bett, ein Loch für die Zugluft, ein paar Kochtöpfe auf der Erde, die Gummistiefel, hundert Fliegen. Vater und Mutter und die zwei Brüder saßen auf der Matratze, nachts würden sie zu fünft darauf schlafen. Wir tranken Chang’aa, ein heimlich aus Mais (oder Hirse) und Melasse gebrauter Sud. »African Whisky«, der schnell und sanftmütig blau machte. (Und manchen blind, der zu viel trank, da hochprozentig mit Methanol vermischt.) Nach einer halben Stunde verschwand die Familie, diskret lächelnd, ohne Erklärung. Charity lächelte auch, eine Spur weniger diskret, nahm meine beiden Hände und – wünschte sich ein Kind. Damit ich alles richtig verstand, führte sie unsere jetzt verschlungenen Finger zwischen meine Beine. Und von dort an ihre Brüste. Ich wehrte mich nicht, spürte ihre Haut länger, als ich sollte. Aber ich wollte sie genießen, wollte für Sekunden mich trösten lassen von Schönheit. An diesem Ort, diesem Monster an Hässlichkeit. Ja, ein Kind von mir, jetzt gleich. Sagte sie, ganz umstandslos, und drehte den Kopf zum verschlissenen Leintuch. Deshalb die Räumung der Familienliege. Unser Kind, ich verstand, sollte die Aufenthaltserlaubnis im »beautiful, rich Germany« garantieren. Davon träumte die hübsche Charity. Damit der Gestank ein Ende hatte und irgendwo ein wohlriechendes Leben anfing.
    Alles gefiel mir an dieser Frau, nur nicht die Bettstatt und die Aussicht auf einen afro-germanischen Ehestand mit Nachwuchs. So musste ich lügen, wie immer, wenn ich niemandem weh tun wollte, auch mir nicht. Musste mich davonlügen, um nicht in Mathare zum Kindsvater zu werden. Vertröstete, winkte, tauchte ab hinter dem nächsten Müllberg.
    Afrika ist praktisch, das hat mir immer gefallen. Ich kam zufällig an Charitys Limonadenstand vorbei, sie checkte blitzschnell die Daten: Weißer, Deutscher, steinreich – und handelte, aktivierte Plan A. Jeder hier suchte nach einem Notausgang. Schrien die einen nach Gott und schleuderten ihr Herz in den Himmel, so wollten die anderen ins himmlische Deutschland. Als Anzahlung legten sie ihren Körper hin. Wieder andere suchten Unterschlupf in Banden, dealten mit Alkohol und Drogen, fuchtelten mit Macheten und forderten Schutzgelder für alles, sogar für das halbe Dutzend öffentlicher Toiletten. Die Jungen, auch die ganz Jungen, dealten mit Sex. Das billigste Angebot bekam ich von einer Dreizehnjährigen. July verrechnete »hundred Bob« (einen Euro)

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