Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs
Behörden von meinem Flug mit Josef nach Tanna informiert haben. Deshalb der Check-up, die absurden Fragen.
Seit die Amerikaner hier während des Zweiten Weltkriegs stationiert waren, gab es diesen bizarren Mythos. Der Name John Frum soll einem US-Soldat gehören, angeblich ein Mulatte, der als »Visionär« auftrat. Sein (mutmaßlich) eigentlicher Name war »Broom«, ein Besen eben, der aufräumte, einer, der gegen die Kolonisatoren und Missionare hetzte und den Bewohnern von Tanna versprach, ihnen ihre uralten, ureigensten Traditionen zurückzugeben. Plus Schätze über Schätze. Und der jählings weg war (»im Gebüsch«, sagen die einen, »im Wasser«, sagen die anderen), zuvor jedoch noch beteuert hatte, wiederzukommen. Sagen alle. Als »Erlöser«.
Wie bei jedem Glauben spielte auch hier die Wirklichkeit keine Rolle, sondern die Phantasie, das Wunschdenken, die Begabung, die eigenen Träume, märchenhaft auszuschmücken. So wie bei den Christenmenschen Gekreuzigte munter auferstehen und Jungfrauen in den Himmel düsen, so zischte hier John Broom, alias John Frum, per Ufo zurück in den Weltraum. Oder per Tarnkappe ins Unterholz. Oder per Rennboot ins Zentrum der sieben Meere. Und da jeder andere »Fakten« gehört hatte, gab es auch viele Varianten vom Aussehen des US-Messias: einmal untersetzter Mischling, einmal bulliger Dunkelschwarzer, einmal – und jetzt kam ich ins Bild – Weißer. Lang und dünn.
Als wir endlich im Dschungeltaxi Richtung Josefs Heimatdorf saßen und furchterregend nah an Klippen und Abgründen entlangfuhren, grinsten wir zwei uns wieder an. Josef entspannt, ich flach atmend. Was immer mein Gastgeber dachte, ich war bereit, die Komödie mitzuspielen. Wer darf schon als Retter und Gott auftreten, leibhaftig und in Echtzeit miterleben, wie Religion fabriziert wird, wie jedes Mittel recht ist, um die Realität aufzupeppen, ja sie maßzuschneidern gegen die Ängste und Todesängste, die das Leben bereithielt.
Die letzten fünfzehn Minuten wanderten wir, rauf, runter, an sonnengelben Akazien vorbei, durch dichtes Unterholz. Bis wir eine Lichtung erreichten, ein paar Hundert Meter vor Yaneumakel gelegen, dem Dorf von Josefs Familie. Abendstunde, Dämmerung, nur Männer, die sich wie dunkle Schatten bewegten. Josef stellte mich vor, warm und mampfend nickten sie zurück. Sechzig geblähte Backen, ein sonniger Empfang. Die Stunde für Kava, ein Ritual älter als jede Erinnerung. Gut, dass ich vorbereitet war auf das, was nun kommen würde, denn Vanuatus Nationalgetränk ist eine Herausforderung an letzte Willenskräfte. Eine Pfefferpflanze, deren robuste Wurzeln sie jetzt zu Brei kauten, dann auf Bananenblätter spuckten, dann die braunen Batzen mit Wasser vermengten und zuletzt durch ein Tuch in halbierte Kokosnüsse pressten, unsere Tassen. Fertig.
Ich war der Gast, »a very differend guest«, ich sollte als Erster probieren. Alle blickten. Jetzt mussten die Willenskräfte her, denn die Sauce hat ein Braun, das man nur mit einem einzigen anderen Braun assoziieren kann. Geliefert mit einem, wie sinnig, bestialischen Geruch. In Port Vila hatte ich schon gekotzt und gelernt: nicht hinschauen, nicht riechen, alles in einem Zug leeren, still halten. Und so machte ich es, sie schauten und ich spülte die erste Schale hinunter. Seit ich die Technik beherrschte, wusste ich, dass die betäubende Brühe jede Zumutung belohnte. Wie ein euphorisierender Dampf zischte der Saft unter die Haut. Und kein wilder Rausch, keine psychedelischen Flashs folgten, eher eine skurrile Heiterkeit. Wie Opium breitete sie sich im Körper aus.
Nun war ich gerüstet für die Holzwürmer, die fünf Zentimeter fetten Maden, frisch gebacken, die sie sogleich nachreichten. Wieder blickten sie und wieder griff ich heroisch zu, schon nicht mehr zurechnungsfähig, schon wie alle sternhagelselig vom Kava erledigt. Dann wurden wir still, tranken weiter, sahen den roten Widerschein von Yasur, dem Vulkan, der feurige Lava in den Himmel schleuderte. Die Erde zitterte leicht und einer flüsterte in Josefs rechtes Ohr und Josef flüsterte es weiter zu mir: »Das ist John Frums Armee, seine fünftausend Mann, die unter der Glut des Kraters wohnen.« Ich biss mir auf die Lippen, augenblicklich konnte das Leben nicht schöner sein. Über zwei Dutzend Männer und ihr Gott, zurzeit ich, saßen im Urwald von Tanna und waren hemmungslos bereit, das Stück »Des Erlösers Wiederkunft« aufzuführen. Ohne Absprache, ohne Proben, aus dem
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