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Süden und das Geheimnis der Königin

Süden und das Geheimnis der Königin

Titel: Süden und das Geheimnis der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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der »verfassungsmäßigen Ordnung«, also auf den Gesamtwert der Rechtsnormen, die in der Verfassung unser Zusammenleben regeln. Über die Definition eines allgemeinen »Sittenkodex« gehen die Meinungen weit auseinander, ethische Verhaltensnormen festzulegen, scheitert meist am subjektiven Empfinden. So halten konservative Politiker und eine große Gruppe innerhalb der Bevölkerung das Zusammenleben und die Regelung des Zusammenlebens homosexueller Paare nach wie vor für einen Verstoß gegen die »guten Sitten« und eine Herabwürdigung der Ehe. Touristen, die nach Asien reisen, um Sex mit Minderjährigen zu haben, behaupten, ihr Geld trage zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Familien dieser Kinder bei, während wiederum weite Kreise der Bevölkerung das Verhalten dieser Männer als zynisch und verbrecherisch empfinden, gleichzeitig aber die Einführung eines Paragrafen zum Straftatbestand der Vergewaltigung in der Ehe allenfalls mit einem Schulterzucken quittieren. Eine Familie, das war immer meine Auffassung, ist eine moralische Anstalt, deren Regeln der Stärkere bestimmt, auf ihre Missachtung reagiert er oft mit drakonischen Strafen. Und es war nicht unsere Aufgabe als Polizisten, darüber zu urteilen. Wir waren nicht einmal befugt, unsere Meinung zu äußern. Alles, was wir zu tun hatten – und darauf hatte die betroffene Familie ein Recht –, war, mit offenen Karten zu spielen. Das bedeutete, wir sagten, was wir tatsächlich unternahmen, auch wenn dies auf den ersten Blick abstrakt und kühl-routiniert wirken mochte. Wir übermittelten die Personenbeschreibung ans Landeskriminalamt, wo die Meldung in den bundesweiten Polizeicomputer eingespeist wurde, in manchen Fällen schalteten wir Rundfunk und Fernsehsender und den ADAC-Reiseruf ein. Lagen Hinweise auf einen Auslandsaufenthalt der verschwundenen Person vor, schickte das LKA ein Fernschreiben an das Bundeskriminalamt, das über seine zentrale Suchstelle »Sirene« weiterermittelte, basierend auf dem Schengener Informationssystem, das nach dem Wegfall der Grenzkontrollen in der Europäischen Gemeinschaft die länderübergreifende Kooperation der Polizei vereinfachen sollte. Außerdem verheimlichten wir den Angehörigen auch eine für sie höchst beunruhigende Maßnahme bei unserer Suche nicht: Sämtliche Angaben über Vermisste landeten in der VERMI/UTOT-Datei beim BKA: Die zuständigen Kollegen verglichen die Personalien des Verschwundenen mit denen von unbekannten Toten und unidentifizierten hilflosen Personen. Wir als Sachbearbeiter mussten diese Datei ständig kontrollieren, um Angehörige sofort verständigen zu können, falls eine Übereinstimmung auftauchte.
    Was den meisten Leuten, die eine Vermisstenanzeige aufgeben, aber nicht oder nur nach langwierigen Gesprächen einleuchtet, ist die Tatsache, dass nicht jeder Erwachsene, der an einem Tag nicht nach Hause kommt, einen Fall für die Polizei darstellt. Eine Fahndung einleiten durften wir nur, wenn eine Gefahr für Leib und Leben bestand, wenn die vermisste Person entweder hilflos umherirrte, aus einem Nervenkrankenhaus entwichen war, dringend medizinische oder psychische Betreuung benötige, einem Unglück oder einer Straftat zum Opfer gefallen war oder die Absicht hatte, sich umzubringen. Alle anderen Gründe – Liebeskummer, Ärger in der Arbeit oder Ehe, Abenteuerlust, Langeweile – waren für uns irrelevant.
    Im Wesentlichen ging es jedes Mal darum, so rasch wie möglich herauszufinden, ob die Möglichkeit einer Straftat oder eines Suizids bestand. Daher verfassten wir immer zuerst eine vorläufige Vermisstenanzeige mit speziellen Angaben über Krankheiten, Verletzungen und anderen Auffälligkeiten, fügten ein Foto an und schickten den Bogen ans LKA. Dann warteten wir ab. Warten war für die Angehörigen eine Folter. Aber wir konnten sie ihnen nicht ersparen. Nachdem ich dem Ehepaar Roos das Procedere erklärt hatte, saßen die beiden eine Weile schweigend da. Emanuel Roos, neunundsechzig Jahre alt, in einer Wildlederjacke, die noch neu roch, und Maria Roos, neunundfünfzig Jahre alt, in einem langen dunklen Mantel, die graublonden Haare am Hinterkopf verknotet, mit einer roten Brille mit getönten Gläsern.
    Ich wusste nahezu nichts von den beiden. Sie hatten ein Geschäft für Verdunkelungen betrieben, nun war er Rentner und sie, so hatte sie wortkarg erklärt, arbeitete noch bei Siemens als Teilzeitsekretärin. Der Grund des Verschwindens ihrer Tochter sei ihr und ihrem Mann

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