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Süden und das Geheimnis der Königin

Süden und das Geheimnis der Königin

Titel: Süden und das Geheimnis der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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seine Uhr. Fünfunddreißig Minuten waren bereits um.
    »Weil sie nichts getan haben«, sagte ich.
    »Genau«, sagte Martin. Er hustete und kratzte sich am Pullover, der keine zwanzig Euro wert war. Martin kaufte nur Rollkragenpullover aus Synthetics, was Sonja, die auch gern Rollkragenpullover trug, allerdings nur solche aus Cashmere oder Baumwolle, an den Rand der Verzweiflung brachte.
    »Die haben nichts getan. Andere Eltern suchen Verbündete, weil sie mit unserer Arbeit unzufrieden sind, oder sie beschimpfen uns, rufen jeden Tag im Dezernat an, wenden sich an die Presse. Dieses Ehepaar nicht. Die hockten zu Hause und wollten niemanden sehen und sprechen.«
    »Das kannst du ihnen doch nicht zum Vorwurf machen!«, sagte Sonja.
    »Mach ich nicht«, sagte Martin. Schlagartig wirkte er abwesend. Er lehnte sich zurück, beugte sich vor, legte die Hand auf die grüne Zigarettenschachtel, hustete mit geschlossenem Mund.
    »Sie wussten mehr, als sie sagten, das heißt nicht, sie haben uns angelogen«, sagte ich.
    »Wie meinen Sie das?«, fragte Freya. Sie war erst seit drei Monaten auf der Vermisstenstelle und ich wusste, dass sie heimlich Krimis schrieb, ein Freund von ihr, der sie einmal abholte, hatte es mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut. Außerdem kannte sie jede Krimiserie im Fernsehen und sie erzählte leidenschaftlich davon. Darüber hinaus hatte sie in der kurzen Zeit, in der sie bei uns arbeitete, einige Vernehmungen durchgeführt, bei denen sie durch eine besondere Art des Fragens und Zuhörens die verstocktesten Leute geknackt hatte. In meinen Augen war sie, um den Kellner Wolfi zu zitieren, ein Naturtalent.
    »Sie haben gewisse Geheimnisse für sich behalten«, sagte ich.
    »Welche?«, fragte Thon.
    »Familiendinge. Dinge, die uns nichts angehen.«
    »Wie haben sie auf eure Vermutung reagiert, die Tochter könnte einem Verbrechen zum Opfer gefallen sein?«
    »Ruhig«, sagte Martin.
    Thon sah erst ihn, dann mich eindringlich an.
    »Habt ihr sie beschattet?«
    »Natürlich«, sagte ich.
    »Keine Hinweise, kein Motiv«, sagte Martin.
    »Gefällt mir nicht«, sagte Thon und schwieg irgendwie vorwurfsvoll.
    »Ich hab gelernt«, sagte Freya, »wenn jemand ohne Voraussetzungen verschwindet, dann ist er tot. Ich meine, dann… dann ist er wahrscheinlich tot…« Etwas verlegen blickte sie in die Runde.
    »So ist das auch«, sagte Thon.
    »Deswegen hielten wir sie für verschollen«, sagte Martin.
    »Können wir eine Pause machen?«, fragte Thon.
    »Moooment!«, sagte Sonja gedehnt, als habe sie bei Loriot studiert.
    »Worüber wir überhaupt noch nicht gesprochen haben ist, wieso gab es damals keine Verbindung zu diesem Franz, wieso taucht dieser Name nirgends auf? Und wieso taucht der Name von diesem Wirt…«
    »Esterer aus dem ›Lamm’s‹«, sagte ich.
    »Ja, wieso taucht der in den Akten nicht auf. Der hat sie doch auf dem alten Foto wiedererkannt. Habt ihr den damals nicht befragt?«
    »Anscheinend nicht«, sagte ich.
    »Warum nicht?«, fragte Sonja.
    »Wahrscheinlich weil wir nichts von ihm wussten«, sagte Martin.
    » Das ist merkwürdig«, sagte Thon.
    »Warum?«, fragte ich.
    »Sie war Gast bei ihm.«
    »Aber wir wussten offenbar nicht, dass sie dort verkehrt ist«, sagte ich.
    »Die Eltern haben uns nichts davon gesagt.«
    »Komisch ist doch, dass die mit vierzig noch zu Hause gewohnt hat«, sagte Freya. Sie blätterte in den fotokopierten Seiten.
    »Warum hat sie das getan?«, fragte Thon.
    »Es war billiger«, sagte ich.
    »Soraya hatte keinen Job zu der Zeit.«
    »He!«, rief Freya, über eines der Blätter gebeugt.
    »Die war ja mal Weinkönigin!«
    »Pause«, sagte Thon.
    Am Abend des fünften Mai vor zehn Jahren brachte eine Streife das Ehepaar Roos ins Dezernat 11, nachdem die uniformierten Kollegen eine vorläufige Vermisstenanzeige aufgenommen hatten. Wie ich schnell feststellte, misstraute vor allem Maria Roos den Beteuerungen der Polizisten, sie würden sofort eine umfassende Fahndung einleiten.
    Und ich verstand, warum sie misstrauisch war. Nach dem Grundgesetz hat jeder Bürger das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit und dieses Recht kann er in Anspruch nehmen, ohne jemanden vorher um Erlaubnis fragen zu müssen. Abgesehen davon weist das Grundgesetz darauf hin, dass das Recht auf freie Entfaltung gewisse Individualwerte von Mitmenschen und den moralischen Wert des allgemeinen Sittenkodex ebenso einschließe wie das Rücksichtnehmen auf den Gemeinschaftswert

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