Süden und das Geheimnis der Königin
den Notfall oder beleuchtete Wegweiser.
»Polizei im Haus bringt Unglück«, sagte Freya.
»Ob Polizei im Garten Glück bringt?«, fragte ich. Wir hatten das Grundstück durch ein offenes Eisentor betreten und gingen auf eine Parkbank zu. Auf der Terrasse standen weiße Stühle und Tische mit Tischdecken, zusammengeklappte gelbe Sonnenschirme und Pflanzen in Terracottatöpfen.
»Suchen Sie wen?«
Ein Mann mit einer grünen Schürze und einer Schaufel kam hinter uns her, er sah aus wie der klassische Gärtner.
»Grüß Gott«, sagte ich.
Der Mann hatte ein hageres Gesicht und stechend blaue Augen.
»Tachchen auch. Ich arbeite hier, sind Sie Verwandte?«
»Ja«, sagte ich. Freya sagte nichts.
»Von wem?«, fragte der Gärtner.
»Von Frau Buchner.«
»Ah ja? Dachte, die ist solo auf der Welt«, sagte der Gärtner.
»Nicht mehr als wir alle«, sagte ich.
»Bitte?«
Freya winkte jemandem, und ich drehte den Kopf. Aus Richtung der Terrasse kam eine kleine Frau in einem schwarzen Cape auf uns zu. Um den Hals hatte sie einen roten Schal geschwungen, sie trug rote Schuhe und schwarze Stoffhandschuhe. Sie hatte kaum Falten im Gesicht, die Lippen waren behutsam geschminkt. Trotzdem hätte ich sie nicht jünger geschätzt, sie machte nur einen unglaublich agilen Eindruck. Ich hielt es für möglich, dass sie jeden Morgen durch den Park joggte, wahrscheinlich mit ihrem roten Schal, sodass jeder sie von weitem sehen konnte und rechtzeitig Platz machte.
»Hallo, Balthasar!«, sagte sie. Der Gärtner hob die Schaufel.
»Tachchen, Frau Buchner. Ihre Verwandten sind da.«
»Das seh ich, Balthasar. Schönen Tag noch!«
»Ihnen auch, Tschüsschen!« Ein letzter stahlblauer Blick huschte über Freya und mich.
»Lassen Sie uns etwas gehen«, sagte Frau Buchner.
»Wer sind Sie eigentlich? Sie sind die Frau, mit der ich am Telefon gesprochen habe. Freya Epp, ich hab mir den Namen gleich notiert. Und Sie?«
»Tabor Süden«, sagte ich.
Sie sah mir ins Gesicht, etwas zu lang, wie ich fand. Ich sagte: »Ich sehe immer so aus.«
»Das bleibt Ihnen unbenommen«, sagte sie.
»Sie sollten weniger trinken. Und mehr Sport treiben. Aber ich mag diese an den Seiten geschnürten Hosen, von welchem Tier ist das Leder?«
»Ziege«, sagte ich.
»Das steht Ihnen«, sagte sie.
»Aber Sie sollten mehr Sport treiben. Weniger sitzen, mehr Bewegung, im Alter werden Sie die Versäumnisse zu spüren kriegen.«
»Ist Ihnen der Familienname des Mannes wieder eingefallen?«, fragte Freya. Sie hielt einen Din-A-5-Block und einen Stift in den Händen.
»Grosso«, sagte Frau Buchner.
»Ich glaub nicht, dass ich mich täusch. Grosso. Franz Grosso.«
»War er Italiener?«, fragte ich.
Ich ging links neben Frau Buchner, Freya rechts neben ihr.
»Das ist möglich«, sagte sie und blieb stehen.
»Entschuldigen Sie, aber ich komm mir irgendwie eingezwängt vor, das ist so polizeilich, wie wir hier gehen, ich in der Mitte. Ich möcht nicht, dass meine Bekannten mitbekommen, dass die Polizei im Haus ist.«
»Wir sind im Garten«, sagte ich. Sie sah mich an, als hätte ich gefurzt.
»Lassen Sie uns das so machen.« Sie ging hinter Freya herum auf deren rechte Seite.
»Das ist besser.«
»Grosso«, sagte Freya, die den Namen aufgeschrieben und Schwierigkeiten hatte, den Block im Gehen zu halten. Schon öfter hatte ich ihr vorgeschlagen, einen kleineren zu benutzen, aber sie meinte, sie brauche Platz für ihre ausufernde Schrift.
»War er Italiener?«, wiederholte ich.
»Möglich«, wiederholte sie. Offenbar hielten sich ihre Sympathien für mich in engen Grenzen. Schweigend setzten wir unseren Weg zwischen Fliederbüschen fort.
»Sie haben ihn doch im Supermarkt getroffen…«, begann Freya.
»Das ist an die zehn Jahre her!«, sagte Clara Buchner energisch.
»Und nicht im, sondern vor dem Supermarkt.«
»In welcher Straße, Frau Buchner?«, sagte ich.
»In der Humboldtstraße«, sagte sie. Dann blieb sie stehen.
»Ich weiß nicht… Ich hab mich bei Ihnen gemeldet, weil ich denke, das ist meine Pflicht als Staatsbürgerin. Aber jetzt denk ich, der Mann ist tot, er hat seinen Frieden verdient… Warum soll ich Ihnen also Rede und Antwort stehen?«
»Es geht nicht nur um den Toten«, sagte ich.
»Um wen denn noch?«
»Um eine Frau, die seit zehn Jahren spurlos verschwunden ist«, sagte ich.
»Sprechen Sie nur weiter.« Ohne auf uns zu warten, schritt sie voran. Ein Eichhörnchen huschte durchs Unterholz und wieselte einen Baumstamm
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