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Süden und das Geheimnis der Königin

Süden und das Geheimnis der Königin

Titel: Süden und das Geheimnis der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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hatte er nichts übrig.
    »Ihr hattet also von Anfang an Zweifel an einem freiwilligen Verschwinden«, sagte Thon und rieb mit zwei Fingern an seinem Seidenhalstuch, eine Angewohnheit, die besonders Sonjas Nerven strapazierte, noch mehr als die Art, wie er sich mit dem Zeigefinger am Hals kratzte.
    »Wir hatten nicht den mindesten Hinweis auf einen Plan«, sagte Paul Weber, der Älteste von uns. Er war neunundfünfzig, ein bulliger Mann mit einer beeindruckenden Bauchkugel, kurzgelocktem Haar und buschigen Augenbrauen. Meist trug er karierte Hemden und Kniebundhosen und er benutzte weißblaue Stofftaschentücher, so groß wie ein halbes Tischtuch. Er war am Schliersee geboren worden, aber er sprach kaum Dialekt. Seit seine Frau gestorben war, schlief er nur noch zwei bis drei Stunden in der Nacht und manchmal, sagte er, wenn wir uns trafen, um Bier zu trinken und zu schweigen, manchmal sei er zu müde, um Gott zu hassen.
    »Die Frau war einundvierzig«, wiederholte Weber.
    »Wenn sie hätte weggehen wollen, hätte sie es geplant. Das hat sie aber nicht.«
    »Vielleicht war das ihr Plan«, sagte Thon. Er hatte die Akte aufgeschlagen vor sich liegen, Weber, Sonja, Freya Epp und ich hatten uns einige Blätter herauskopiert.
    »Merkwürdige Eltern«, sagte Martin Heuer und zog die Schultern hoch, als würde er frieren. Ich war noch nicht dazu gekommen, ihn nach den Erlebnissen mit Lilo zu fragen, seinem Aussehen nach zu urteilen, dürfte er erst heute Nacht zurückgekehrt sein. Womit er extrem zu kämpfen hatte, das sah ich ihm an, war, dass er nicht rauchen durfte. Sonja hatte das Verbot durchgesetzt, auch bei Besprechungen von Sonderkommissionen oder Arbeitsgruppen, an denen oft mehr als zehn Kollegen teilnahmen, und keiner hatte sich getraut, laut zu widersprechen. Außer Thon, der keine Zigaretten, sondern Zigarillos rauchte. Sein seidenes Halstuch flatterte fast, so heftig hatte er sich über Sonjas Vorschlag echauffiert, den er allen Ernstes kontraproduktiv nannte. Am Ende wurde er überstimmt, er setzte jedoch durch, dass nach maximal einer Dreiviertelstunde eine Pause eingelegt werden musste. Demonstrativ riss Sonja dann jedes Mal die Fenster sperrangelweit auf.
    »Was war mit den Eltern?«, fragte Thon.
    »Erinnerst du dich?«, fragte mich Martin. Es war klar, dass er zu erschöpft zum Sprechen war. Auch hatte er noch nicht einen Blick auf die Auszüge geworfen, die ich für ihn mitkopiert hatte.
    »Die Eltern haben Anzeige erstattet«, sagte ich. Nach meinem Besuch beim Ehepaar Brick hatte ich noch einmal meine Aufzeichnungen zum Fall Soraya Roos durchgelesen, persönliche Randbemerkungen, Momentaufnahmen, die wir manchmal zu einem viel späteren Zeitpunkt für unsere Arbeit nutzen konnten, die unsere Aufmerksamkeit plötzlich in eine neue Richtung lenkten. Manchmal. Bei diesem Fall nicht. Bis jetzt zumindest.
    »Sie waren am Boden zerstört. Und sie wussten nichts.«
    »Sicher?« Thon nestelte an seinem Halstuch und roch dann am Daumen. Sonja schaute zum Fenster.
    »Die Mutter fing bald nach Sorayas Verschwinden an, Beruhigungstabletten zu nehmen, Schlaftabletten, alles Mögliche«, sagte ich.
    »Aber ich habe vermutet, das hat sie auch vorher schon getan, sie hat es verschwiegen. Das geht uns auch nichts an.«
    »Ihr habt auch in Pirmasens recherchiert«, sagte Thon und blätterte in der Akte.
    »Natürlich«, sagte Martin gleichzeitig mit mir. Das war ihm vermutlich so rausgerutscht, er grinste und zog seinen Rollkragenpullover glatt.
    »Die Familie stammt aus Rheinland-Pfalz, wir haben die Kollegen eingeschaltet, sie haben Verwandte und Nachbarn befragt. Es gab keine Hinweise. Die Familie lebte schon zwanzig Jahre in München, als die Tochter verschwand.«
    »Warum sind sie umgezogen?«, fragte Thon.
    »Der Vater wurde Teilhaber eines Geschäfts für Verdunkelungen.«
    »Was?« Hinter der starken Brille wirkten Freya Epps Augen riesig, wie zwei braune Scheinwerfer.
    »Er verkaufte Verdunkelungen«, sagte ich.
    »Jalousien, Rollos, Vorhänge…«
    »Verstehe«, sagte Freya.
    »Wer ist der Teilhaber?«, fragte Thon.
    »Er ist schon gestorben«, sagte ich.
    »Er hatte nichts mit Sorayas Verschwinden zu tun. Er kam ursprünglich auch aus Pirmasens, heiratete dann in München und übernahm das Geschäft von einem Freund. Und Emanuel Roos war gelernter Innenausstatter, die beiden kannten sich und beschlossen zusammenzuarbeiten.«
    »Warum hast du gesagt, die Eltern waren merkwürdig?« Thon warf einen Blick auf

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